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Erneuerung der Haushaltswirtschaft in Baden-Württemberg
Erneuerung der Haushaltswirtschaft in Baden-Württemberg
Ein Interview mit Michael Theurer (FDP-Landtagsabgeordneter und Oberbürgermeister der Stadt Horb am Neckar)
18. Februar 2008
Nach der anfänglichen Euphorie um das Projekt der "Neuen Steuerungsinstrumente" (NSI) ist es nach dem tendenziell unrühmlichen
Rechnungshofbericht im März 2007 sehr still um die Modernisierung der Haushaltswirtschaft in der Staatsverwaltung von Baden-Württemberg
geworden. Beim Blick auf die kommunale Ebene des Landes entsteht fast der Eindruck, als ob sich die Ernüchterung um die NSI auf
Landesebene auch auf den Reformeifer auf kommunaler Ebene auswirkt.
HaushaltsSteuerung.de sprach dazu mit dem FDP-Landtagsabgeordneten und Oberbürgermeister von Horb am Neckar, Michael Theurer (Bild).
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HaushaltsSteuerung.de: Herr Theurer, der Landesrechnungshofbericht zur Wirtschaftlichkeit der NSI
hat deutlich gemacht, dass die NSI-Einführung nicht flächendeckend rund gelaufen ist. Woran liegt das? Hatte die
Verwaltungsstrukturreform einen Einfluss? Lag es an der mangelnden Akzeptanz bei den Mitarbeitern oder daran, dass einige
Führungskräfte die Umsetzung nicht als ihre Aufgabe betrachtet haben?
Theurer: Der Rechnungshofbericht wurde als vernichtende Kritik am gesamten Projekt NSI
wahrgenommen. Genau hingeschaut ergibt die Untersuchung des Rechnungshofs jedoch ein zweigeteiltes Bild: ausdrückliches
Lob für die Justiz und einige andere Bereiche der Landesverwaltung, Tadel für die vielen anderen. Konkret wird bemängelt,
dass NSI zu starr und unflexibel angewandt wurde. Außerdem hätten die Spitzen der Ministerien in den meisten Fällen das
Reformprojekt nicht zur Chefsache gemacht. Das war schon vor der Verwaltungsstrukturreform, die dann aber noch dazu kam.
HaushaltsSteuerung.de: Ihre "Kollegin", die Landtagsabgeordnete Theresia Bauer
(Bündnis 90/Die Grünen), hat im Oktober 2006 eine Pressemitteilung herausgegeben. Hier wird sie mit den Worten zitiert
"NSI war beim TÜV, und das Urteil ist eindeutig: Alles Schrott. Deshalb muss das Projekt sofort gestoppt werden." Sehen Sie das auch so?
Theurer: Nein. Fundamentalkritik wird dem Projekt NSI nicht gerecht. Allerdings zeigt der
Rechnungshofbericht große Schwächen auf, die dringend und mit mehr Energie konsequent beseitigt werden müssen. Dazu muss das
Projekt wirklich Chefsache in den Ministerien werden. Denn wer NSI auf den Schrottplatz wirft, muss sagen, was dann an die
Stelle treten soll. Für mich und die FDP jedenfalls ist klar: wir brauchen in der Landesverwaltung betriebswirtschaftliche
Steuerungssysteme. Die Ratschläge des Rechnungshofs sollten jetzt umgesetzt werden: NSI muss praktikabler und flexibler
gemacht und dann vor allem angewandt werden.
HaushaltsSteuerung.de: Könnte eine Ausweitung der Budgetierung ein probates Mittel sein,
um die Motivation der Mittelbewirtschafter zu fördern? Ist die Budgetierung ein probates Mittel zur Realisierung von Effizienzgewinnen?
Theurer: Das wichtigste ist in der Landesverwaltung einen Kulturwandel zu erreichen. Hier
erwarte ich, dass von den Amtsspitzen Überzeugungsarbeit geleistet wird. Denn die alte kameralistische Steuerung gleicht doch
einem Blindflug - es fehlen ja die ganzen Informationen über die Leistung, also den Output, die zugrunde liegenden Prozesse
und die Kosten. Eine Ausweitung der Budgetierung ist ein Baustein im Konzept. Gerade in den Kommunen wurden damit gute
Erfahrungen gemacht. Die Delegation von Verantwortung von oben nach unten eröffnet Freiräume, verkürzt Entscheidungswege,
ermöglicht schnellere, schlankere und bürgernähere Entscheidungen. Sie fordert aber von den Mitarbeitern auch, dass diese
Freiräume beherzt ausgefüllt werden.
HaushaltsSteuerung.de: Im Justizministerium scheint die Einführung der NSI gegen den Trend
ein Erfolg zu sein. So bescheinigt es der Rechnungshof. Was wurde in diesem Ministerium anders gemacht oder liegt das an den
größeren Möglichkeiten aufgrund der durchgängigen Behördenstruktur in diesem Ressort?
Theurer: Anfangs war im Justizministerium die Skepsis gegenüber NSI am größten. Wegen der
besonderen rechtlichen Situation, insbesondere der verfassungsrechtlich gebotenen Unabhängigkeit der Gerichte und der
Staatsanwaltschaften, hat das Justizressort sich dann entschlossen, NSI auf die besonderen Bedürfnisse anzupassen. Dies wurde
intensiv mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern diskutiert. Dies war das Erfolgsrezept - und mittlerweile ist das
baden-württembergische Modell Vorbild bundesweit.
HaushaltsSteuerung.de: Was halten sie von einer KLR-Einführung auf freiwilliger Basis auf
Ebene der Landesverwaltung oder von einer Beschränkung auf den Bereich der Querschnittsaufgaben und des Fördercontrollings?
Theurer: Die Einführung einer Kosten-Leistungsrechnung ist kein Allheilmittel. Zunächst
muss man sich klar machen: die Berechnung von Kosten und Leistungen alleine spart ja nichts ein. Sie erfordert sogar zunächst
einigen Aufwand. Und auch in der Privatwirtschaft hat sich manches Unternehmen mit zu komplizierten KLR-Systemen übernommen.
Ich plädiere deshalb für einen pragmatischen Ansatz. Der Erhebungsaufwand muss minimiert werden. Die Steuerungsfunktion muss
im Vordergrund stehen. Welche Informationen brauche ich, um für die Verwaltungsssteuerung die richtigen Entscheidungen treffen
zu können. Ich empfehle den Fokus auf die Verwaltungsprozesse zu richten und würde im Sinne der ABC-Analyse zunächst die
besonders ressourcenintensiven Prozesse untersuchen.
HaushaltsSteuerung.de: Wie beurteilen Sie die Qualität des produktorientierten Haushalts:
Sind die gebildeten Produkte/Produktaggregate für die Parlamentarier steuerungsrelevant? Wurden und werden neben dem
Finanzausschuss auch die Fachausschüsse bei der Weiterentwicklung steuerungsrelevanter Kennzahlen adäquat eingebunden?
Und ist mittlerweile das angekündigte Abgeordneteninformationssystem im Wirkbetrieb?
Theurer: Die gebildeten Produkte sind eine erste gute Grundlage. Die Fachausschüsse
wurden in die Erarbeitung der Produkte und Produktgruppen einbezogen. Allerdings haben es sich einige Fachausschüsse sehr
leicht gemacht und den Produkthaushalt ohne große Diskussion "durchgewunken". Das ist nicht im Sinne der Erfinder. Die
Fachausschüse sind aufgerufen Fach- und Finanzverantwortung zusammenzuführen. Dafür ist das Abgeordneteninformationssystem
das notwendige Instrument - es wird gerade in Betrieb genommen. Die Schulungen laufen bereits.
HaushaltsSteuerung.de: Haben Landesregierung oder Regierungsfraktionen bereits erste
Konsequenzen aus dem Bericht des Landesrechnungshofes gezogen? Wie geht es mit der Reform des Haushalts- und Rechnungswesens
auf staatlicher Ebene weiter?
Theurer: In der jüngsten Sitzung des Finanzausschusses hat die Landesregierung über das
weitere Vorgehen berichtet. Die Vorschläge des Rechnungshofs sollen weitestgehend berücksichtigt werden. Das ist gut so.
HaushaltsSteuerung.de: Sowohl CDU als auch FDP haben sich in ihren Landtagswahlprogrammen
die Einführung der Staatsdoppik ausgesprochen. Selbst im Koalitionsvertrag von CDU und FDP wird dieses Ziel benannt. Ist
diesbezüglich für diese Legislaturperiode noch etwas zu erwarten?
Theurer: Die Einführung der kaufmännischen Buchführung im Landeshaushalt bleibt für die
FDP ein wichtiges Ziel. Eine flächendeckende Einführung noch in dieser Legislaturperiode halte ich allerdings nicht für
realistisch. Es sollten nicht die gleichen Fehler wie bei NSI gemacht werden. Allerdings hoffe ich, dass substantielle
Grundlagen gelegt und vor allem ein Masterplan erstellt wird, wie die Umstellung auf die Doppik realisiert werden kann.
HaushaltsSteuerung.de: Mal zu einer anderen politischen Ebene: Wie geht es eigentlich mit
der Umstellung auf das neue kommunale Haushaltsrecht in Baden-Württemberg weiter?
Theurer: Die Landesregierung hat den Gesetzentwurf zur Änderung des Kommunalen Haushaltsrechts
vor kurzem vorgelegt und zur Anhörung freigegeben. Wie seit Jahren von der Innenministerkonferenz beschlossen, sieht er die
Umstellung der kommunalen Haushalte von der Kameralistik auf die Doppik vor. Damit diese Umstellung ohne Friktionen und mit
überschaubaren Kosten bewerkstelligt werden kann, ist - auch auf Vorschlag der FDP - eine sehr lange Übergangsfrist bis 2016
vorgesehen.
HaushaltsSteuerung.de: Sie sind nicht "nur" MdL, sondern auch Oberbürgermeister der Stadt
Horb am Neckar. 2007 wurde in Horb erstmals ein Haushaltsplan nach den Grundsätzen der kommunalen Doppik aufgestellt. Mal
ehrlich: Wie lange haben die Vorbereitungen dafür gedauert? Würden Sie Ihren Bürgermeisterkollegen in Baden-Württemberg
ebenfalls eine Umstellung empfehlen?
Theurer: Ja, wir sind stolz, dass Horb die dritte Große Kreisstadt im Regierungspräsidium
Karlsruhe ist, die jetzt auf die Doppik umgestellt hat. Die Vorbereitungen dafür haben gut ein Jahr gedauert. Allerdings
wurde der Grundstein viel früher bereits durch die Verwaltungsreform auf der Grundlage einer Funktionsanalyse, die Einführung
des Produkthaushalts und der Budgetierung seit 1998 gelegt. Und dieser Weg war richtig. Ja, ich empfehle den Kollegen die
Umstellung. Wir brauchen in den Kommunen ein Finanzwesen, das die Ressourcenverbräuche aufzeigt und Entscheidungen unterstützt,
durch die keine Lasten auf zukünftige Generationen verschoben werden.
HaushaltsSteuerung.de: Von wem kam in Horb die Initiative zur Umstellung auf die Doppik -
aus der Verwaltung oder aus den Reihen der Stadträte heraus? Wie finden sich die Räte mit dem neuen Haushalt zurecht? Wurden
Schulungen für die Mandatsträger durchgeführt?
Theurer: Als Volkswirt stand für mich früh fest, welche Vorteile die Instrumente der
kaufmännischen Buchführung aufweisen. Wir haben in der Verwaltung deshalb früh die Weichen in Richtung Doppik gestellt.
Allerdings kam die Initiative auch aus dem Gemeinderat. Die Politik hat die Verwaltung ermutigt, diesen Schritt zu gehen.
Der neue Haushalt ist sicherlich für diejenigen schwierig, die sich im kameralen Recht zu Hause fühlten. Doch das konnten
nur wenige Stadträte von sich behaupten. Andererseits kennen viele Stadträte die Doppik aus ihrem beruflichen Umfeld und
finden sich deshalb damit besser zurecht. Gleichwohl sind Schulungen natürlich notwendig und werden von uns auch angeboten.
Die Interview-Reihe im Überblick:
» Erneuerung der Haushaltswirtschaft in Baden-Württemberg - ein Interview mit Michael Theurer (Interview-Reihe Teil 1/3)
» Modernisierung der Haushaltswirtschaft in Baden-Württemberg - ein Interview mit Hans-Ulrich Sckerl (Interview-Reihe Teil 2/3)
» Reformierung der Haushaltswirtschaft in Baden-Württemberg - ein Interview mit Klaus Herrmann (Interview-Reihe Teil 3/3)
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Im Interview angesprochene Textquellen:
- Mitteilung des Rechnungshofs: Beratende Äußerung zur Wirtschaftlichkeit des Projekts NSI in der Landesverwaltung, Drucksache 14/1084 vom 27.03.2007
- Pressemitteilung von Theresia Bauer: NSI: Prestigeprojekt sofort stoppen [16. Oktober 2006]
- CDU Baden-Württemberg: In der Tat besser. Regierungsprogramm der CDU Baden-Württemberg 2006-2011, Seite 75
- FDP Baden-Württemberg: Regierungsprogramm 2006 bis 2011, Seite 33
- Koalitionsvertrag: CDU Baden-Württemberg / FDP Baden-Württemberg: Vereinbarung zwischen der Christlich Demokratischen Union Deutschlands, Landesverband Baden-Württemberg, und der Freien Demokratischen Partei, Landesverband Baden-Württemberg, über die Bildung einer Koalitionsregierung für die 14. Legislaturperiode des Landtags von Baden-Württemberg, Seite 60
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