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Doppische Schuldenbremse mit Generationenbeitrag
Doppische Schuldenbremse mit Generationenbeitrag
Ein Interview mit Jörg Schrader (Kämmerer der Stadt Freudenberg)
13. Januar 2014
Eine generationengerechte Kommunalfinanzpolitik wird abstrakt als erstrebenswert angesehen. Aber wie sind die
Reaktionen der Einwohner, wenn eine Stadt mit schwieriger finanzieller Ausgangslage einen konkreten Weg aufzeigt,
der mit merklichen (temporären) Belastungen für die Einwohner verbunden ist? In der Stadt Freudenberg wird aktuell
über Maßnahmen zur sofortigen Wiedererreichung des Haushaltsausgleichs diskutiert. Dabei soll eine
Nachhaltigkeitssatzung
helfen, die eine Schuldenbremse nebst Generationenbeitrag vorsieht.
HaushaltsSteuerung.de sprach dazu mit Jörg Schrader (Bild), dem Kämmerer der rund 18.500 Einwohner zählenden
Stadt Freudenberg in Nordrhein-Westfalen.
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HaushaltsSteuerung.de: Herr Schrader, die Stadt Freudenberg rechnet seit dem Jahr
2009 doppisch. Rein rechtlich geht damit nach § 75 Abs. 2 Satz 1 Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen die Plicht zum
regelmäßigen Ausgleich von Erträgen und Aufwendungen einher. Ist das in Freudenberg in den vergangenen Jahren gelungen?
Schrader: Hier möchte ich zunächst auf einige grundsätzliche Aspekte zur Einführung
des Neuen Kommunalen Finanzmanagement (NKF) in Nordrhein-Westfalen eingehen. Die doppische Reformbewegung in Deutschland
wurde 2003 auf der Innenministerkonferenz beschlossen. Leitbild der Reform des Haushaltswesens ist die "intergenerative Gerechtigkeit".
Der Grundsatz solchen Handelns lautet demnach, dass jede Generation selbst für die von ihr im Haushaltsjahr verbrauchten Ressourcen
aufkommen soll. Daher wurde der Haushaltsgleich als verpflichtende Komponente auf der Ebene des Ergebnishaushaltes angesiedelt.
Daher müssen nach der Verpflichtung des Haushaltsausgleiches alle Erträge (Ressourcenaufkommen im Haushaltsjahr) alle Aufwendungen
(Ressourcenverbrauch im Haushaltsjahr) mindestens ausgleichen. Im Gegensatz zur althergebrachten Kameralistik liegt die Veränderung
in der Doppik im Wesentlichen darin, dass alle Ressourcenverbräuche im Ergebnishaushalt dargestellt werden. Dies sind insbesondere
die Rückstellungen für Beamtenpensionen, Versorgungsaufwendungen der Ruhestandsbeamten, die Abschreibungen auf das genutzte Vermögen
sowie Rückstellungen für unterlassene Instandhaltungen. Diese Belastungen zukünftiger Perioden wurden durch die Kameralistik nicht
erfasst. Erst wenn die erwirtschafteten Erträge alle Aufwendungen decken, gilt der Haushalt als ausgeglichen. Im Umkehrschluss heißt
das, dass bei permanenten negativen ordentlichen Ergebnissen (Fehlbedarf in der Planung, Fehlbetrag in der Rechnungslegung) schon per
Definition des NKF auf Kosten künftiger Generationen gewirtschaftet wird. In diesem Kontext ist zu erwähnen, dass bei permanenten
negativen Ergebnissen nicht nur das Anlagevermögen über Gebühr zu Lasten künftiger Generationen aufgezehrt wird, darüber hinaus fehlen
natürlich die liquiden Finanzmittel zur nachhaltigen Investition in das Anlagevermögen. Investitionen sind dann nur noch über
Investitionskredite darstellbar, deren Aufnahme ist allerdings auch über die Vorschriften der Gemeindeordnung begrenzt und zieht Zins- und
Tilgungsverpflichtungen mit sich, die damit in den folgenden Jahren den Ergebnishaushalt belasten (Zinsen als Ressourcenverbrauch,
Liquidität zur Tilgung der Kredite). Ein weiterer Aspekt verschärft die Situation der Kommune, die permanent negative ordentliche
Ergebnisse "erwirtschaftet". In der Philosophie des NKF führt der ausgeglichene Ergebnishaushalt zu der Generierung von liquiden
Mitteln im Finanzplan, die ihrerseits dann für Investitionen genutzt werden können. Daurch Rückstellungen, Abschreibungen usw., die
im ausgeglichenen Ergebnishaushalt keine liquiden Zahlungsabflüsse darstellen, entsteht im konsumtiven Finanzplan ein entsprechender
Zahlungsüberschuss. Ein permanent nicht ausgeglichener Ergebnishaushalt führt zur Verpflichtung, die im konsumtiven Finanzplan entstehenden
Liquiditätsverluste durch die Aufnahme von Kassenkrediten zu kompensieren. Diese müssen natürlich irgendwann einmal zurückgezahlt werden
und belasten damit schon zukünftige Generationen und darüber hinaus müssen diese auch mit Zinszahlungen an die Geldgeber bedient werden.
Diese Zinszahlungen belasten ihrerseits wiederum den Ergebnishaushalt zukünftiger Perioden. Die nicht vorhandenen liquiden Mittel für
Investitionen ermöglichen in der Konsequenz auch keine weiteren, nötigen Neuinvestitionen und werterhaltende Investitionen. Seit Einführung
des NKF bei der Stadt Freudenberg in 2009 sind alle Haushalte in Planung und Ausführung strukturell nicht ausgeglichen. Nach den Regelungen
der Gemeindeordnung NRW (GO NRW), besteht seit dem Jahr 2010 für die Stadt Freudenberg die Verpflichtung zur Erstellung eines
Haushaltssicherungskonzeptes (HSK), welches seit dem Jahr 2012 durch die Kommunalaufsicht genehmigt ist. Dies ist aber dem Umstand zuzurechnen,
dass der in der GO fixierte Haushaltsausgleich durch den Rat der Stadt Freudenberg auf den letztmöglichsten Zeitpunkt, das Jahr 2022 festgelegt
wurde. Dies führt allerdings im Umkehrschluss dazu, dass bis in das Jahr 2019 zur Erfüllung kommunaler Aufgaben Kassenkredite aufgenommen werden
müssen. Gleichzeitig sind liquide Mittel zur Investition in das Anlagevermögen aus eigenen Mitteln nicht vorhanden. Ich habe im Rat immer darauf
hingewiesen, dass diese Entwicklung formal im Sinne der GO korrekt ist, aber mit den oben genannten Aspekten der intergenerativen Gerechtigkeit nicht
vereinbar ist. Um es nochmals deutlich zu machen: Bis in das Jahr 2019 werden sich Kassenkredite erhöhen, bilanzielles Eigenkapital durch Fehlbeträge
reduziert und liquide Mittel für Investitionen nicht erwirtschaftet, was zu einem weiteren Zerfall der kommunalen Infrastruktur der Stadt führen wird
(u.a. sind in Freudenberg 178 km innerörtliches Straßennetz zu bewirtschaften). Zu bedenken ist auch der Aspekt, dass bei einem weiteren Anstieg der
Kassenkredite das Zinsänderungsrisiko eine weitere nicht planbare Belastung der folgenden Jahre darstellt. Sollte, was zum heutigen Zeitpunkt als
nicht gesichert anzusehen ist, die Stadt Freudenberg im Jahr 2022 einen ausgeglichenen Haushalt aufstellen, der liquide Überschüsse zum Abbau der
Kassenkredite erwirtschaftet, müssten nach meinen Berechnungen bis in das Jahr 2029 diese Überschüsse zum Abbau der Kassenkredite verwendet werden.
Zum Stand heute bedeutet dies, dass erst ab dem Jahr 2030 wieder nachhaltig in die dann noch vorhandene kommunale Infrastruktur investiert werden
könnte. Dieser Umstand ist allen im Rat vertretenden Fraktionen bewusst bzw. wird dies bisher billigend in Kauf genommen.
HaushaltsSteuerung.de: Führte diese Entwicklung sogar dazu, dass Freudenberg Kassenkredite, also mit einem Dispo
vergleichbare Verbindlichkeiten aufnehmen musste? Diese sind ja momentan zu niedrigen Zinsen zu haben - allerdings gibt es ein erhebliches Zinsänderungsrisiko.
Schrader: Die Stadt Freudenberg weist zum Stichtag 31.12.2013 Kassenkredite in Höhe von 5.700.000 Euro aus. Bei
Beibehalten der politischen Beschlusslage, den Haushalt erst im Jahr 2022 wieder auszugleichen, werden sich die Kassenkredite in etwa auf einen Stand
von 12.000.000 bis 14.000.000 Euro erhöhen, die ab 2020 sukzessive wieder zurückgezahlt werden müssen. Bei einer Einwohnerzahl von rund 18.500 Einwohnern,
entspricht der heutige Stand der Kassenkredite rund 308 Euro pro Einwohner, dies wird dann auf 649 Euro pro Einwohner (bei 12 Mio. Euro Kassenkrediten)
bzw. 757 Euro (bei 14 Mio. Euro Kassenkrediten) ansteigen. Derzeit liegt die durchschnittliche Zinsbelastung bei rund 1 %. Das bedeutet, dass Stand heute
rund 57.000 Euro Zinsaufwand im laufenden Haushalt erwirtschaftet werden müssen. Dieser Betrag steigt auf 120.000 Euro bzw. 140.000 Euro bis in das Jahr
2019 an. Pro Kopf muss jeder Freudenberger Bürger Stand heute 3,10 Euro Kassenkreditzinsen bedienen, ansteigend auf 6,49 Euro bzw. 7,57 Euro in 2019.
Allerdings gebe ich zu bedenken, dass Stand heute keiner seriös prognostizieren kann, ob die derzeit niedrigen Zinsen Bestand haben werden. Ich gehe eher
davon aus, dass vor dem Hintergrund von Basel III die Banken in der Zukunft höhere Zinsen in Rechnung stellen werden. Des Weiteren ist festzuhalten, dass
sich die ersten Banken aus der kommunalen Kassenkreditfinanzierung zurückziehen. Es stellt sich daher die Frage, wie lange bekommen die Kommunen noch (billiges)
Geld? Da die Zinsbelastung bei steigenden Kassenkrediten weiteren Spielraum im kommunalen Haushalt einengt, damit der Konsolidierungsdruck sich weiter erhöhen
wird, und das Zinsänderungsrisiko gegenüber künftigen Generationen meines Erachtens nicht vertretbar ist, muss sofort mit der Rückzahlung von Kassenkrediten begonnen
werden, mindestens aber dürfen keine neuen Kassenkreditverbindlichkeiten entstehen.
HaushaltsSteuerung.de: Es gab und gibt insofern einen erheblichen Konsolidierungsbedarf in Freudenberg zur Erfüllung der
gesetzlichen Vorgaben, mithin der Beendigung des in finanzieller Hinsicht gegebenen Wirtschaftens auf Kosten nachfolgender Generationen?
Schrader: Natürlich, der strukturelle Fehlbedarf ohne die vorgeschlagene Grundsteuer B - Erhöhung liegt bei rund 2.900.000
Euro. Die Gesamthöhe der Aufwendungen im Gesamtergebnisplan 2014 beträgt rund 29.000.000 Euro, mithin sind 10 % der Gesamtaufwendungen nicht durch Erträge
gedeckt. Denkbare Alternative ist die ersatzlose Streichung aller freiwilligen kommunalen Leistungen, die allerdings auch nicht auskömmlich ist, den
strukturellen Fehlbedarf zu decken. Und eine Verweigerung der Erbringung pflichtiger Leistungen kann ja nur dann in Betracht kommen, wenn vor Ort alle anderen
Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind.
HaushaltsSteuerung.de: Ein zeitnahes Handeln würde den weiteren Anstieg der Kassenkredite mit unabsehbaren Folgen verhindern.
Nun wird Haushaltskonsolidierung im Allgemeinen ja seitens der Kommunalpolitik und der Einwohner unterstützt...
Schrader: Ja richtig, aber nur dann, wenn es möglichst keinem wehtut und unverbindlich bleibt. Insofern fiel es dem Rat in 2012
bei der Beschlussfassung über das HSK ja auch leicht, die Personalkosten bis 2022 derart zu reduzieren, dass alle bis dahin freiwerdenden Stellen (natürliche
Fluktuation) nicht wiederbesetzt werden sollen. Dies entspricht rund 20 Vollzeitstellen, ein Fünftel der heutigen Belegschaft. Welche kommunalen Leistungen dann
aber nicht mehr erbracht werden sollen bzw. können, soll dann die Verwaltung erarbeiten. Es fehlt in diesem Kontext die Bereitschaft des Rates, eine
Strategiediskussion und Festlegung der strategischen Ausrichtung zu beschließen, an Hand derer die Verwaltung dann ihre Organisation und das Personal ausrichten
kann. Wir sollen nun das Pferd von hinten aufzäumen, also erst die Organisation und das Personal ausrichten, über die Ziele der Stadt wird dann später beraten...?
Dabei ist alleine schon vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des Rückgangs der Bevölkerungszahlen eine strategische (Neu-)Ausrichtung zwingend geboten.
Und diese fällt nach der GO NRW als nicht delegierbare Aufgabe dem Rat zu (§ 41 (1) Pkt. T GO NRW: "Die Festlegung der strategischen Ziele unter Berücksichtigung der
Ressourcen"). Ich gebe zu Bedenken, dass der oben zitierte Konsolidierungsdruck in den nächsten Jahren sich weiter verschärfen wird. Und dann reden wir über das Freibad,
die Bücherei, die Jugendmusikschule, über einen Grundschulstandort, über Kinderspiel- und Bolzplätze, über Zuschüsse an Vereine, Kulturförderung, Tourismus und
Stadtmarketingleistungen, über Feuerwehrgerätehäuser und kommunale Friedhöfe. Das sind alles Leistungen die wichtig sind und damit wie selbstverständlich auch in
Anspruch genommen und erhalten werden sollen. Diese kommunale Infrastruktur und ihre Leistungen haben jedoch ihren Preis.
HaushaltsSteuerung.de: Der Preis kommunaler Leistungen ist ein entscheidendes Stichwort: Sie haben u.a. eine (temporäre) Erhöhung der
Grundsteuer B in die Diskussion gebracht und nennen diese Generationenbeitrag?
Schrader: Der Ausgleich zwischen Erträgen und Aufwendungen kommt einenr generationengerechten Haushaltspolitik gleich. Das ist in der
Wissenschaft unstreitig und wurde letztlich auch in die GO NRW aufgenommen. Die Grundsteuer B dient der Lückenschließung zwischen Erträgen und Aufwendungen. Daher kommt
der Begriff des Generationenbeitrages. Sie nimmt nach dem Entwurf unserer Nachhaltigkeitssatzung exakt die Höhe ein, die zum Ergebnisausgleich notwendig wird. Daneben
ist mir eine weitere Sache wichtig - Sie kennen ja die Sache mit dem "Überbringer schlechter Nachrichten ..." Und natürlich wird erst einmal der Kämmerer für einen konkreten
Vorschlag verantwortlich gemacht. Aber: Als Verwaltungsangehöriger und Kämmerer ist es auch meine explizite Aufgabe, Vorschläge im Rahmen der Gesetze zu machen. Und der
Haushaltsausgleich ist keine "freiwillige Leistung", er ist gesetzlich normiert. Die Grundsteueranpassung ist am Ende eines von vielen Mitteln, um dem Gesetz gerecht zu
werden. Es ist im Übrigen unstreitig, dass die Maßgaben des HSK 2012, welches wir im Übrigen auch so lange freiwillige fortschreiben und umsetzen, soweit der kommunale
Hebesatz der Grundsteuer B um 25 % über dem Landesdurchschnitt der Grundsteuer B liegt, eingehalten werden sollen. Letztlich wird sich jetzt der Rat der Stadt Freudenberg
positionieren müssen. Er kann "weiter so" machen, die kommunalen Steuern niedrig halten und den vordergründig bequemen Weg der Nichtbelastung des Bürgers gehen. Dann nimmt
er allerdings wissend und billigend in Kauf, dass Schulden steigen, Zinsbelastungen und Zinsrisiken in die Zukunft verlagert werden und kommunale Infrastruktur auf lange
Zeit nicht nachhaltig bewirtschaftet werden kann bzw. gigantische Investitionsstaus über die bisherigen hinaus entstehen. Also sollen dann bitteschön zukünftige Generationen
die Sünden der jetzigen Generation bezahlen. Oder er geht den unbequemen Weg einer Steuerbelastung der Bürger, kann aber aufzeigen, dass der Handlungsspielraum der Stadt
Freudenberg mittelfristig wieder größer wird, bzw. mindestens aufrecht erhalten bleiben kann. Nach den Vorschlägen der Verwaltung würde der jetzt vorgeschlagene Weg bedeuten,
dass ab dem Jahr 2018 die Stadt Freudenberg keine Kassenkredite und damit keine Zinsbelastung im städtischen Haushalt mehr ausweisen müsste. Im Sinne der GO ist der Rat der
Souverän über den Haushalt und die städtischen Finanzen. Egal wie er sich entscheidet, er muss es gegenüber den Bürgern dieser Stadt rechtfertigen.
HaushaltsSteuerung.de: Der Rechtswissenschaftler Oebbecke empfiehlt bereits seit einiger Zeit die Grundsteuer B als Ultima Ratio zur
etwaigen Schließung einer Lücke zwischen Erträgen und Aufwendungen. Zuletzt hat auch die Bertelsmann Stiftung das Modell einer doppischen Schuldenbremse mit
Generationenbeitrag vorgestellt, das dem von Ihnen avisierten Vorgehen in vielerlei Hinsicht ähnelt?
Schrader: Richtig. Und das hat gute Gründe. Die Grundsteuer B trifft direkt oder indirekt über die Einrechnung in die Mietpreise alle
Bürger und Unternehmen in einer Kommune. Von allen derzeit zur Verfügung stehenden kommunalen Ertragssteuern ist die Grundsteuer B die gerechteste. Die zu tragenden
Lasten werden auf viele Schultern verteilt und starke Schultern tragen mehr als schwache - wer besser verdient, wohnt i.d.R. auch besser. Das ist bei anderen
Kommunalsteuern anders, zumal diese auch nicht ausschließlich bei der Stadt verbleiben (Stichwort Gewerbesteuerumlagen an Bund und Land). Mit der Verknüpfung mit dem
Haushaltsausgleich wird damit für alle fühlbar, dass kommunale Leistungen einen Preis haben - zumindest, wenn man das Ventil der Verschuldung aus guten Gründen der
Generationengerechtigkeit schließt.
HaushaltsSteuerung.de: Auf welchen Wert müsste denn nach ihren Berechnungen die Grundsteuer B steigen, um im Jahr 2014 den
Ausgleich zwischen Erträgen und Aufwendungen zu erreichen und was würde das monetär für einen Durchschnittshaushalt ausmachen?
Schrader: Der bisherige Hebesatz von 440 %-Punkten erbringt Erträge in Höhe von rund 2.600.000 Euro. Die Abdeckung des strukturellen
Fehlbedarfes in Höhe von rund 2.900.000 Euro führt zur Notwendigkeit, den Hebesatz um 476 %-Punkte auf dann 916 %-Punkte zu erhöhen. Die bisherigen Erträge aus der
Grundsteuer B, bereinigt um die Erträge von Wirtschaftsbetrieben, machen pro Einwohner zurzeit eine durchschnittliche Belastung in Höhe von rund 9 Euro pro Monat aus.
HaushaltsSteuerung.de: Würde eine Erhöhung in dieser Größenordnung nicht dazu führen, dass sich der Druck auf die Kommunalpolitik
erheblich erhöht, alternative Konsolidierungsmaßnahmen auf der Ertrags- und Aufwandseite zu beleuchten, um den Hebesatz wieder senken zu können - also in diesem Fall
eine Art "Bürgerdividende" auszuschütten?
Schrader: Davon ist auszugehen. Wir haben ja bereits ein HSK mit einzelnen Konsolidierungsmaßnahmen und nach dem Entwurf unserer
Nachhaltigkeitssatzung würden wir dieses in den kommenden Jahren stetig konkretisieren. Daneben wird die Schuldentilgung, eine Netto-Geldschuldenaufnahme wird ja
ebenfalls durch unsere Nachhaltigkeitssatzung grundsätzlich ausgeschlossen, zu sinkenden Zinsaufwendungen führen. Nach den jetzigen Planungen - aber Prognosen haben
ja bekanntlich immer eine Unsicherheitskomponente - könnten wir ab 2017 ff. die Grundsteuer wieder sukzessive senken, auf zur Zeit geplante 550 %-Punkte in 2022 -
aber nur dann, wenn die alternativen Sparmaßnahmen greifen. Im Konzept der Nachhaltigkeitssatzung ist klar definiert, wie mögliche "Überschüsse" der Haushaltsjahre
verwandt werden: Zunächst werden Kassenkredite und langfristige Verbindlichkeiten, soweit möglich, bedient. Ertragsseitige Überschüsse werden der Ausgleichsrücklage
zugeführt, um einen Puffer für Folgejahre zu haben. Liquide Überschüsse sollen analog zu den Regelungen in Gebührenhaushalten in den Folgejahren auf die nötigen
Hebesätze der Grundsteuer B angerechnet, also quasi dem Bürger wieder zurückgezahlt werden. Eine Finanzpolitik auf Kosten nachrückender Generationen soll es nicht
mehr geben. Und man darf nicht vergessen: Zahlreiche kommunale Leistungen sind pflichtig und andere sind aus Perspektive der meisten Bürger erwünscht: Hier kann man
zwar potentiell Verzicht üben oder Standards reduzieren, aber am Ende ist das eine Sache der örtlichen Präferenzen, über die in letzter Konsequenz der Rat der Stadt
Freudenberg zu entscheiden hat.
HaushaltsSteuerung.de: Wie sind die politischen Reaktionen auf die Einbringung des Entwurfes für die Haushaltssatzung 2014 sowie des
Entwurfes der Nachhaltigkeitssatzung?
Schrader: Die Reaktionen stehen meines Erachtens auch vor dem Hintergrund der im Mai stattfindenden Kommunalwahlen in NRW. Ich
habe den Eindruck bekommen, dass sich weite Teile der Kommunalpolitik "wegducken" und im Kämmerer den Buhmann und Verursacher der kommunalen Finanznot
auszumachen versuchen. Mittlerweile, der Haushalt wurde im Dezember 2013 in den Rat eingebracht, haben sich alle Fraktionen gegen die vorgeschlagene
Erhöhung der Grundsteuer B ausgesprochen. Bemerkenswert aus meiner Sicht ist die Tatsache, dass die eigentlichen Beratungen in den Fraktionen über den
Haushaltsentwurf, die traditionell immer im Februar des Jahres stattfinden, noch gar nicht stattgefunden haben. Das Ergebnis der noch nicht stattgefundenen
Beratungen ist aber schon öffentlich kommuniziert worden. Eine Alternative zum vorgeschlagenen Weg ist allerdings auch nicht genannt worden. Der eingebrachte
Entwurf der Nachhaltigkeitssatzung ist hierbei völlig unerwähnt geblieben. Daraus kann ich nur schließen, dass eine ernsthafte und seriöse Auseinandersetzung,
an deren Ende ja auch ein Kompromiss stehen könnte, der einerseits den Einstieg in die Entschuldung im Sinne der Nachhaltigkeitssatzung vorsieht und gleichzeitig
die Bedürfnisse der Bürger mit berücksichtigt, politisch nicht gewollt ist. Aber wie schon angeführt, ist der Rat aufgefordert, eine Richtungsentscheidung zu
treffen. Nochmals kurz auf den Punkt gebracht: Entschuldung mit Belastungen für den Bürger, Rückgewinnung von Handlungsspielräumen ab 2018 oder "weiter so" mit
weiteren Schulden, steigenden Zinsbelastungen, Zerfall der Infrastruktur und damit verbunden ein sich weiter einengender Handlungsspielraum über das nächste
Jahrzehnt hinaus, was bedeutet, dass künftige Generationen die Konsequenzen tragen müssen. Diese Entscheidung über die Alternativen und damit verbundenen
Konsequenzen muss der Rat im Anschluss den Bürgern mitteilen und er trägt auch alleine die Verantwortung dafür. Da aus Teilen der Politik schon angeführt
wurde, dass die vorgeschlagenen Steuererhöhungen unsozial seien, muss ich davon ausgehen, dass die dargestellten Konsequenzen des "weiter so" aus politischen
Erwägungen heraus sozial sind.
HaushaltsSteuerung.de: Gehen Sie davon aus, dass sich ihr Konzept den Einwohnern vermitteln lässt?
Schrader: Abwarten. Nach der jüngsten Ankündigung der Grundsteueranpassung gab es natürlich erst einmal zum Teil
heftige Reaktionen aus der Bürgerschaft. Da sich ja auch die Politik entsprechend ablehnend verhält, ja sogar den Eindruck erweckt, als hätte man nicht
gewusst was kommt, ist eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema zur Zeit schwierig. Hier sollte zum Verständnis aber klargestellt werden, dass
ich dem Rat der Stadt schon seit Jahren klar und deutlich erklärt habe, dass der jetzt erfolgte Schritt wird kommen müssen. Aber zurück zum Bürger:
Sobald man mit den Leuten redet und die Hintergründe erläutert, erntet man allerdings auch Verständnis und manchmal auch Zustimmung. Für den 15. Januar
2014 hatten wir eine Bürgerveranstaltung angesetzt. Nach über 1.000 Anmeldungen, für die es in der Stadt keine genehmigungsfähige Versammlungsstätte gibt,
hat die Verwaltung entschieden, im Februar 2014, parallel zu den politischen Beratungen in den Ausschüssen in mehreren Veranstaltungen mit max. je 100 Teilnehmern
"über die Dörfer" zu gehen. Die Stadt Freudenberg besteht aus 17 Ortsteilen, von den die kleinen Ortsteile dann zusammengelegt werden. Sofern dort auch
alternative Sparideen seitens der Bürger vorgetragen werden, dürfte das sicherlich auch in die Meinungsbildung der Kommunalpolitiker einfließen - zumindest
dann, wenn es sich um konstruktive Vorschläge handelt.
HaushaltsSteuerung.de: Fürchten Sie nicht, dass die Bürger bei dieser Veranstaltung ausschließlich ihrem Ärger über
die Steueranpassung Luft machen?
Schrader: Davon ist auszugehen - das werde ich dann auch aushalten müssen. Nach den in der Verwaltung eingegangenen
Briefen, E-Mails, Einwendungen, Telefonaten u.ä., ist die Befürchtung nicht auszuschließen, dass auch in der Bürgerschaft der prozentuale Anteil derer,
die sich sachlich mit diesen Dingen auseinandersetzen wollen, eher gering ist. Letztlich helfen pauschale Vorwürfe usw. allerdings niemandem - schon gar
nicht nachrückenden Generationen. Konstruktive Anregungen zur Haushaltskonsolidierung hingegen schon.
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