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Die Dispersion der Doppik? Das neue öffentliche Haushalts- und Rechnungswesen zwischen kommunaler Routine und europäischer Harmonisierung
Die Dispersion der Doppik? Das neue öffentliche Haushalts- und Rechnungswesen zwischen kommunaler Routine und europäischer Harmonisierung
20. März 2016 |
Autor: Dennis Hilgers (Gastbeitrag)
Inhaltsübersicht:
1. Einleitung
2. Zukünftige Reformpfade
2.1 Heterogenität in Deutschland
2.2 EPSAS
3. Öffentliche Verschuldung im Lichte der Doppik
4. Fazit und Ausblick
1. Einleitung
Das öffentliche Haushalts- und Rechnungswesen als Planungs- und Informationssystem öffentlicher Ressourcensteuerung
befindet sich seit geraumer Zeit weltweit in einem grundsätzlichen Umbruch hin zu kaufmännischen Regimen, die ressourcenverbrauchsorientiert,
periodisiert und in Konten strukturiert das Staats- und Verwaltungshandeln nachhaltiger abbilden und besser bewirtschaften sollen. Mit
starker Orientierung an das Handelsrecht der Unternehmen geht es um die Schaffung von Regeln für den Ansatz, Ausweis, Bewertung und
Konsolidierung von Vermögens-, Finanz- und Ergebnissituationen (insbesondere von Verlusten bzw. negativen Ergebnissen des politisch-administrativen Handelns),
die sich im etablierten kameralen Rechnungswesen gar nicht, oder nur rein zahlungsstromorientiert ausweisen ließen.
In Deutschland hat sich diese Entwicklung in Folge der New Public Management Bewegung bzw. der Impulse des Neuen Steuerungsmodells
vor allem auf der kommunalen Ebene vollzogen. So ist als Folge der Beschlüsse der Innenministerkonferenz (IMK) im Jahre 2003 diese
Reform auf kommunaler Ebene fast flächendeckend in den Gemeindeordnungen bzw. Gemeindehaushaltsverordnungen manifestiert. Bundesweit
ist die Umstellung auf die kommunale Doppik damit weit fortgeschritten und insgesamt wenden derzeit knapp 70 Prozent aller Kommunen
die Doppik gesetzlich verpflichtet oder freiwillig (im Rahmen von Optionsregeln) an. Gegenwärtig wird auf kommunaler Ebene die Reform
des kaufmännischen Rechnungswesens durch die Erstellung von Gesamtabschlüssen, also des kommunalen Konzernabschlusses und der damit
verbundenen Konsolidierung von öffentlichen Unternehmen (Töchtern) und der Kernverwaltung (Mutter) verstetigt. Während der Bund im
Jahr 2016 weiter auf dem Buchungsstil der Kameralistik verharrt, sind auf Ebene der Bundesländer neue Impulse vor allem durch die
zum Januar 2010 in Kraft getretene Novellierung des Haushaltsgrundsätzegesetzes (HGrG) im Haushaltsgrundsätzemodernisierungsgesetz
(HGrMoG) zu verzeichnen gewesen. Danach können Bundesländer (und auch der Bund), wenn gewollt, rechtlich legitimiert, zwischen
kaufmännischem Rechnungswesen (der sog. staatlichen Doppik) und Kameralistik als Rechnungssystem frei wählen. Konkret haben die
drei Bundesländer Hamburg, Bremen und Hessen auf (zumindest in Teilen) das doppische System umgestellt.
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Rechnungssystem des Bundes |
Bund |
Kameralistik |
|
Bundesland |
Rechnungssystem(e) des Landes |
Rechnungssystem(e) der Kommunen (Doppik-Umstellungsfrist für den Kernhaushalt) |
Baden-Württemberg |
Kameralistik |
Doppik (ab Haushaltsjahr 2020) |
Bayern |
Kameralistik |
Wahlrecht: Doppik/Kameralistik |
Berlin |
Kameralistik |
- |
Brandenburg |
Kameralistik |
Doppik (ab Haushaltsjahr 2011) |
Bremen |
Doppik und Kameralistik (Kameraler Haushalt, Produkthaushalt, doppischer Jahresabschluss) |
- |
Hamburg |
Doppik |
- |
Hessen |
Doppik |
Doppik (ab Haushaltsjahr 2009/2015) |
Mecklenburg-Vorpommern |
Kameralistik |
Doppik (ab Haushaltsjahr 2012) |
Niedersachsen |
Kameralistik |
Doppik (ab Haushaltsjahr 2012) |
Nordrhein-Westfalen |
Kameralistik (Doppik-Umstieg geplant (EPOS.NRW)) |
Doppik (ab Haushaltsjahr 2009) |
Rheinland-Pfalz |
Kameralistik |
Doppik (ab Haushaltsjahr 2009) |
Saarland |
Kameralistik |
Doppik (ab Haushaltsjahr 2010) |
Sachsen |
Kameralistik |
Doppik (ab Haushaltsjahr 2013) |
Sachsen-Anhalt |
Kameralistik |
Doppik (ab Haushaltsjahr 2013) |
Schleswig-Holstein |
Kameralistik |
Wahlrecht: Doppik/Kameralistik |
Thüringen |
Kameralistik |
Wahlrecht: Doppik/Kameralistik |
Tabelle 1:
|
Praktizierte Rechnungssysteme von Bund, Ländern und Kommunen in Deutschland (Stand: 2016)
|
Quelle: |
Eigene Darstellung
|
2. Zukünftige Reformpfade
In der Freien und Hansestadt Hamburg wird in diesem Jahr der zehnte kaufmännische Jahresabschluss der Kernverwaltung vorgelegt und
auch in vielen Kommunen (gerade in den Flächenländern NRW und Hessen) ist häufig schon eine mehr als fünfjährige Reformpraxis
anzutreffen. Aufgrund dieses Entwicklungspfades will dieser Beitrag die konsequent praktizierte Reform zum Anlass nehmen und fragen,
welche Errungenschaften und zukünftige Herausforderungen im Kontext der Reform des öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesens zu
verzeichnen sind. Konnten die Ziele, die mit der Reform stets verbunden waren, wie ein mehr an Transparenz und Steuerungsfähigkeit
erreichet werden und was sind zukünftige Schritte und Reformnotwendigkeiten?
2.1 Heterogenität in Deutschland
Die Reform des öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesens in Richtung kaufmännischer Räson ist in Deutschland von einem hohen Maß an
Heterogenität geprägt. Dies ist zum einen durch die divergenten Rechnungsstile Kameralistik und Doppik zu erklären, also durch die
Beibehaltung der Kameralistik in einem kleinen Teil der Kommunen (insb. jenen mit Optionsrecht) und durch die Bundesländer, die sich
offenkundig gegen Reformschritte entschieden haben. Darüber hinaus hat die Entwicklung auch dort, wo die Reform umgesetzt wurde zu
einem hohen Maß an Uneinheitlichkeit in den einzelnen Gebietskörperschaften geführt. Ursächlich hierfür ist, dass dann zwar auf das
doppische System mit der doppelten Erfolgsermittlung (Bilanz und Ergebnisrechnung) umgestellt wurde, aber die Haushaltsplanung und
Rechnungslegung (bzgl. Ansatz, Ausweis und Bewertung) innerhalb dieses Systems sehr unterschiedlich betrieben wird. Heterogenität
resultiert somit aus unterschiedlichen, dem Föderalismus geschuldeten Einstellungen und gesetzlichen Normen gegenüber dem Transparenzbedarf
der öffentlichen Ressourcenbewirtschaftung. So unterscheiden sich inhaltlich und auch begrifflich die Gliederungs-, Bewertungs- und
Haushaltsausgleichsvorschriften stark in den einzelnen Bundesländern (für die entsprechenden Kommunen), was Vergleiche zwischen bspw.
Großstädten in verschiedenen Bundesländern wesentlich erschwert. Diese Uneinheitlichkeit in der Praxis der Haushaltssteuerung und
Rechenschaftslegung wird sich wohl so schnell nicht mehr verändern lassen. Auf Landesebene ist mit dem Haushaltsgrundsätzemodernisierungsgesetz
im Jahre 2009 zwar ein Gremium zur Standardisierung der staatlichen Doppik geschaffen worden. Die Anwendung staatlicher Doppik in den
einzelnen Bundesländern auf Landesebene wird jedoch weiter von den einzelnen Finanzministerien höchst autonom und different ausgelegt und
angewandt. Der Zinssatz für die Diskontierung von Pensionsrückstellungen beispielsweise, die für die Länden aufgrund der großen Anzahl an
Lehrern und Polizisten ein besondere Rolle (insb. auf die Höhe des Eigenkapitals) ausmachen, hat in keinem der vier doppisch buchenden
Bundesländer die gleiche Höhe. Auf kommunaler Ebene ist vor allem das Problem divergierender Bewertungsgrundsätze zu erwähnen, wonach seit
der Eröffnungsbilanz teilweise der Zeitwert oder aber auch die Anschaffungskosten angesetzt werden können. Außerdem besteht eine hohe
Uneinheitlichkeit gegenüber der Typisierung von Vermögensgütern. Während in einigen Bundesländern bspw. die Bewertung von Straßen nur die
Asphaltdecke umfasst, wird in anderen auch die gesamte Liegenschaft der Verkehrsinfrastuktur mitbewertet oder gar das Staßennetz als
solches als eigenes Anlagegut bewertet. Aus nationaler Sicht in Deutschland würde die anvisierte europaweite EPSAS-Harmonisierung
wahrscheinlich die letzte Chance darstellen, das heterogene Haushalts- und Rechnungswesen wieder zu harmonisieren - andere Impulse
und Initiativen sind derzeit jedenfalls nicht zu erkennen.
2.2 EPSAS
Richtet man den Blick nun über die nationale Ebene hinaus auf die europäische Ebene, so setzt sich das uneinheitliche Bild
hinsichtlich der verwendeten Rechnungssysteme fort. Die bestehende Heterogenität im öffentlichen Rechnungswesen zwischen den
EU-Mitgliedern untereinander sowie innerhalb des jeweiligen nationalen Rechts erschwert länderübergreifende Finanzberichte,
Leistungs- und Finanzkennzahlenvergleiche und verschlechtert mithin die Transparenz der Finanzsituation europäischer
Gebietskörperschaften. Im Ausgang der Finanzkrisen und der ersten Griechenlandkrisen, sowie den Six Pack Regelungen im Jahr
2012 haben die Europäische Kommission und Eurostat unter dem Begriff der European Public Sector Accounting Standards (EPSAS)
ein Reformprojekt initiiert, dessen Ziel die Modernisierung und Harmonisierung der öffentlichen Rechnungslegung in den
EU-Mitgliedsstaaten ist. Die Idee der EPSAS hat inzwischen durch eine Kommissionsveröffentlichung eine grobe Konkretisierung
erfahren, befindet sich aber nach einigen Konsultationsphasen nun in einem Stadium der Vorbereitung und Ausgestaltung erster
Standards. So ist vorgesehen, dass die EPSAS nur die Rechnungslegung (und nicht das Haushaltswesen) betreffen. Auf der
Makro-Ebene sollen die EPSAS aus Sicht der EU eine bessere Überwachung (und etwaige Steuerung) der Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik
und Strukturreformpolitik der EU-Mitgliedsstaaten ermöglichen. Zugleich soll durch die EPSAS die Qualität und Aussagekraft der Daten
der europäischen Finanzstatistik verbessert werden (von Accrual Statistics zu Accrual Accounting). Auf der Mikro-Ebene (d.h. in den
einzelnen Mitgliedstaaten) sollen die EPSAS u.a. eine Verbesserung der Transparenz der Finanzlage öffentlicher Körperschaften, eine
Vereinfachung von staatsübergreifenden Kennzahlvergleichen, eine Stärkung der Rechenschaftspflicht öffentlicher Entscheidungsträger
und letztlich auch die Förderung einer nachhaltigen Haushalts- und Finanzpolitik bewirken. Auch zeichnet sich nach dem aktuellen
Stand der Diskussion ab, dass die EPSAS wohl auf den International Public Sector Accounting Standards (IPSAS) verweisen sollen.
Bei den IPSAS handelt es sich um derzeit 38 doppische Rechnungslegungsstandards für den öffentlichen Sektor. Sie wurden weltweit
bereits von ca. 80 Ländern (zumindest in Teilen) implementiert. Die IPSAS sind gegenwärtig das einzige international anerkannte
System von Rechnungslegungsgrundsätzen für den öffentlichen Sektor.
Bisherige Entwicklungsschritte in der EPSAS-Reform |
Zeit |
Kurzbeschreibung |
November 2011 |
Der Rat der Europäischen Union verabschiedet das sog. "Six-Pack", das darauf abzielt, die Fiskalpolitik in der EU zu stärken. Ein Element dieses Six-Packs besteht in der "Richtlinie des Rates über die Anforderungen an die haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedsstaaten", die die Europäische Kommission auffordert, eine Beurteilung der Eignung der International Public Sector Accounting Standards (IPSAS) für die EU-Mitglieder durchzuführen. |
Februar 2012 |
Die Europäische Kommission beginnt eine öffentliche Konsultation zur Eignung der IPSAS als harmonisierte Rechnungslegungsstandards für die EU. |
Dezember 2012 |
Die Europäische Kommission veröffentlicht eine Zusammenfassung der Ergebnisse der öffentlichen Konsultation zur Eignung der IPSAS. Er ergingen 68 Antworten ein (davon 16 aus Deutschland). 38 Prozent der Antwortenden sprechen sich für die Eignung der IPSAS zur Einführung in den EU Mitgliedsstaaten aus, 31 Prozent bejahen die Eignung teilweise und sehen Fortentwicklungsbedarf in den IPSAS und 28 Prozent verneinen in Ihrer Einschätzung die Eignung generell. |
Dezember 2012 |
Die Europäische Kommission publiziert die Ergebnisse einer von ihr in Auftrag gegebenen Studie zum öffentlichen Rechnungswesen und zu den Rechnungsprüfungspraktiken in den EU-Staaten. Die Studie ist von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young erstellt worden. Sie zeichnet ein Bild über die heterogene Lage des Rechnungswesens in Europa. |
März 2013 |
Die Europäische Kommission veröffentlicht einen Bericht (inkl. Arbeitspapier) zur Implementierung harmonisierter öffentlicher Rechnungslegungsstandards in der EU. Die EPSAS werden erstmals genannt. Sie sollen grundsätzlich kaufmännisch ausgestaltet sein (dem Grundsatz der Periodisierung folgend) und sich an den IPSAS zwar orientieren, in einer Reihe von Standards aber angepasst bzw. neu überarbeitet werden. Die Kommission sieht in diesem Bericht 14 IPSAS Standards als direkt in EPSAS überführbar an (insb. IPSAS 1-5, 9-14), 14 weitere müssten angepasst werden sowie vier weitere gänzlich überarbeitet und geändert werden (IPSAS 6, 28-30). |
Mai 2013 |
Die Europäische Kommission veranstaltet eine EPSAS-Konferenz in Brüssel zu Information über das Projekt. |
Oktober 2013 |
Die Task Force EPSAS Governance wird gegründet und trifft sich erstmals.
|
November 2013 |
Die Europäische Kommission initiiert eine öffentliche Konsultation zu den EPSAS-Steuerungsgrundsätzen und -strukturen (sog. EPSAS-Governance). Es gehen 203 Antworten ein (davon 141 aus Deutschland, insb. aus den deutschen Kommunen). |
Februar 2014 |
Die Task Force EPSAS Standards trifft sich erstmals. |
März 2014 |
Die Europäische Kommission veröffentlicht einen Berichtsentwurf zu den Ergebnissen der Konsultation zur EPSAS-Governance. Kern der EPSAS Governance, also der Organisations- und Legitimationsstruktur, soll das sog. EPSAS Committee sein. Dieses Gremium soll sich aus einem Vertreter je Mitgliedsstaat zusammensetzen, wobei die Vertreter aus einer Institution des öffentlichen Rechnungswesens des jeweiligen Staates stammen sollen. |
September 2014 |
Die Europäische Kommission veröffentlicht die Ergebnisse einer von ihr in Auftrag gegebenen Studie zu den potenziellen Auswirkungen und Kosten der Einführung einer doppischen Rechnungslegung inkl. einer technischen Analyse der Eignung der einzelnen IPSAS. Die Studie ist von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers erstellt worden. |
Dezember 2014 |
Die Europäische Kommission veröffentlicht eine Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen (engl. "call for proposals") in Bezug auf die vorbereitenden Arbeiten zur Modernisierung der öffentlichen Rechnungssysteme auf doppischer Basis. Somit werden Vorbereitungsarbeiten für die Umstellung auf ein kaufmännisches Rechnungswesen gefördert (First time Adoption). |
März 2015 |
Gründung der Arbeitsgruppe ("Zelle 1"): Diese Zelle beschäftigt sich mit Fragen der First time Adoption (FTI) (Erstanwendung bzw. Eröffnungsbilanz). |
März 2015 |
Beschlussempfehlung des Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, dafür Sorge zu tragen, dass die in Deutschland bestehende Entscheidungsfreiheit bezüglich der kameralen und doppischen Systeme der Haushaltsplanung, -führung und Rechnungslegung bestehen bleibt. |
September 2015 |
EPSAS Konferenz in Malta und Gründung der Working Group EPSAS. Diese setzt die Arbeit der beiden Task Forces (Governance und Standards) fort, die nun in die Working Group EPSAS übergehen. Die Working Group ist eine technische Expertengruppe. Als permanent eingerichtetes Gremium ist ihre Aufgabe, die Kommission über die Arbeiten in Bezug auf EPSAS zu informieren und zukünftige Fragestellungen und Themen zu priorisieren, insbesondere soll die Working Group die Schlüsselfragen zur EPSAS Governance und den Standards identifizieren und diskutieren. |
November 2015 |
Gründung der Arbeitsgruppe ("Zelle 2"): "Definitions" (Vorbereitung für ein EPSAS Framework) |
Januar 2016 |
Gründung der Arbeitsgruppe ("Zelle 3"): "Cell on the principles underlying EPSAS Governance" (Intensivierung der Fragen der EPSAS Governance) |
Oktober 2015 |
Ausschreibung der Europäischen Kommission zur Begleitung der Standardsetzung (Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young) |
März 2016 |
Gründung und erstes Treffen der Arbeitsgruppe ("Zelle 4"): "Principles related to EPSAS Standards" (Grundsätze und Prinzipien des Rechnungswesens) |
Geplant im Jahr 2016 |
Geplante Gründung der Arbeitsgruppe ("Zelle 5"): "EPSAS due process" (Rechtsstaatliche Grundlagen und Implementierung von EPSAS) |
Tabelle 2:
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Überblick über die bisherigen Entwicklungen im EPSAS-Projekt der EU
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Quelle: |
Eigene Darstellung
|
Bereits heute vollzieht sich ein freiwilliger Wandel in den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU hin zu IPSAS (vgl. Tab. 3). Zu
Beginn des Jahres 2016 haben sich Malta, Zypern und Portugal entschlossen das nationale Rechnungswesen auf IPSAS umzustellen,
während die Kommissionsarbeit parallel an der Entwicklung der EPSAS arbeitet. Es ist somit davon auszugehen, dass in der
kommenden Dekade EU-Mitgliedsstaaten in hohem Maße auf IPSAS-Basis (bzw. sehr an IPSAS orientiert) ihre öffentlichen Haushalte
bewirtschaften und abbilden werden. Eine mögliche EPSAS-Verordnung, die sich sehr stark an den IPSAS orientieren wird, wird
dann für die allermeisten Mitgliedsstaaten keinen besonderen Umstellungsaufwand mehr generieren. Lediglich die Bundesebene in
Deutschland und einige deutsche Bundesländer würden sich mit der Beibehaltung der Kameralistik wahrscheinlich im Vergleich zu
den anderen Ländern zunehmend isolieren.
Proximität zu den IPSAS in den EU-Mitgliedsländern im Jahr 2014 |
EU-Mitgliedsstaat |
Bund bzw. Zentralstaat |
Gliedstaaten |
Kommunen |
Sozial- versicherung |
Belgien |
67% |
67% |
73% |
60% |
Bulgarien |
56% |
- |
56% |
63% |
Dänemark |
72% |
- |
65% |
58% |
Deutschland |
22% |
29% |
58% |
42% |
Estland |
92% |
- |
92% |
86% |
Finnland |
72% |
- |
90% |
92% |
Frankreich |
89% |
- |
84% |
92% |
Griechenland |
12% |
- |
12% |
12% |
Irland |
54% |
- |
71% |
57% |
Italien |
31% |
- |
30% |
14% |
Kroatien |
34% |
- |
34% |
55% |
Lettland |
73% |
- |
73% |
55% |
Litauen |
88% |
- |
88% |
72% |
Luxemburg |
19% |
- |
31% |
15% |
Malta |
22% |
- |
94% |
- |
Niederlande |
31% |
- |
58% |
78% |
Österreich |
73% |
12% |
12% |
61% |
Polen |
66% |
- |
66% |
68% |
Portugal |
55% |
- |
80% |
70% |
Rumänien |
63% |
- |
63% |
38% |
Schweden |
81% |
- |
81% |
71% |
Slowakei |
75% |
- |
75% |
34% |
Slowenien |
62% |
- |
62% |
19% |
Spanien |
70% |
61% |
68% |
58% |
Tschechien |
75% |
- |
75% |
77% |
Ungarn |
66% |
- |
66% |
55% |
Vereinigtes Königreich |
96% |
- |
95% |
- |
Zypern |
14% |
- |
75% |
17% |
Tabelle 3:
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Proximität zu den IPSAS in den EU-Mitgliedsländern im Jahr 2014
|
Quelle: |
Eigene Darstellung auf Basis von PwC-Studie (2014)
|
Nach aktuellem Stand der Diskussion soll sich das EPSAS-Reformprojekt auf der Kommissionsebene nur auf die Modernisierung und
Harmonisierung der öffentlichen Rechnungslegung der Staatsebene beschränken. Dies würde auf der einen Seite nach heutigem Ermessen
die Kommunen mitbetreffen (aus juristischer Sicht sind diese (zumindest in Deutschland) der Staatsebene ) zuzurechnen). Auf der
anderen Seite hieße dieser EPSAS Plan allerdings auch, das Haushaltswesen auszuklammern, d.h. der Reformmotivation der einzelnen
Mitgliedsstaaten zu überlassen. Die deutsche Reformpraxis, grundsätzlich das öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesen als
Einheit zu sehen, wäre damit durchbrochen. Dieses Vorgehen wird damit begründet, dass die EU in den geltenden Rahmenbedingungen
nicht in das Budgetrecht der EU-Mitglieder eingreifen kann, ist aber konzeptionell fraglich. Denn ein Planungssystem (Haushaltswesen)
ohne ein dazu passendes Kontrollsystem ist sinnlos und ein Kontrollsystem (öffentliches Rechnungswesen auf Basis von EPSAS) ohne
adäquates Planungssystem ist funktionsunfähig. Weshalb soll geplant werden, wenn das Erreichen des Plans nicht überprüft wird und
was soll kontrolliert werden, wenn nicht Sollergebnisse geplant werden? Mögliche Spreizungen zwischen kaufmännischem Rechnungswesen
und Beibehaltung von kameraler Haushaltswirtschaft wird somit jedenfalls nicht ermöglichen, das kaufmännische Ergebnis bzw. den
Jahresabschluss zu grundlegend zu beeinflussen. Eine isolierte Reform der Rechnungslegung ist daher unter Steuerungsgesichtspunkten
wenig funktional und wird schnell zu einem "statistischen Meldemonster" ohne nachhaltige Steuerungswirkung verkommen. Eine statistische
ex-post-Betrachtung, wie das Rechnungswesen mit seinem Vergangenheitsbezug per se ist, erkennt Krisen erst, wenn sie schon da sind.
Es braucht ein heute schon die Diskussion über ein korrespondierendes Planungswesen auf Basis von IPSAS-Regimen und in letzter Konsequenz
auch über Insolvenzregeln und einer Verschuldungsbremse auf kaufmännischer (EPSAS-)Basis (z.B. Doppische Maastricht-Kriterien).

Abbildung 1:
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Mögliches Umstellungsszenario in Richtung EPSAS
|
Quelle: |
Eigene Darstellung auf Basis von Makaronidis (2015)
|
3. Öffentliche Verschuldung im Lichte der Doppik
Vor dem Hintergrund der Staatsfinanzkrise und der hochgradig heterogenen Haushaltsrechtsnormen in der EU ist die Initiative zur
Standardisierung des Rechnungssystems in Form der Doppik und der Rechnungslegung hin zu den EPSAS im oben skizzierten Sinne zu
begrüßen. In Zeiten der offenkundig in Kraft getretenen Europäischen Schuldenunion, in der die Mitgliedsländer untereinander
finanzielle Verbindlichkeiten übernehmen, ist es naheliegend einzufordern, in die finanzielle Lage jener Mitgliedsländer einzusehen,
für die Haftungen übernommen werden sollen. Sich hier kaufmännischen Ansätzen, jenseits der Daten aus der Europäischen Finanzstatistik
zu bedienen, macht Sinn und stellt die Bonität der Mitgliedsländer durch Vorlage von Bilanzen und Jahresabschlüssen ggf. anders dar,
als wir bisher (z.B. Anhand der Relation von Schuldenstand zu BIP oder der Entwicklung von Steuereinnahmen) finanzielle Verfasstheit
von Haushalten gemessen haben. Gerade für ein wirtschaftlich starkes Mitgliedsland, wie Deutschland, setzt dies aber auch voraus,
diesen Reformweg selber produktiv mitzugestalten und transparent die eigene, tatsächliche Finanz-, Vermögens-, und Ertragslage
darzustellen. Diese Reziprozität des Reformprozesses stellt gerade wegen des einheitlichen Währungsgedankens ein massives
Kohäsionspotential der Europäischen Idee dar. So erfordern Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit der Maastricht-Kriterien bzw. der
Six Pack Regelungen nicht nur einen funktionsfähigen Sanktionsmechanismus bei entsprechenden Verstößen, sondern zunächst erst
einmal ein Mindestmaß an Einheitlichkeit über die Erfassung, Abgrenzung und Bewertung von Schulden im öffentlichen Rechnungswesen,
etwa konkret bezogen auf die Berücksichtigung von Pensionsverpflichtungen, die Einbeziehung von Schattenhaushalten, die Verschuldung
öffentlicher dezentraler Einheiten, die Berücksichtigung von Bürgschaften sowie Haftungen und Verpflichtungen im Rahmen von Public
Private Partnership - also klassische Perspektiven einer kaufmännischen Betrachtungsweise.
Wie wichtig die finanzwirtschaftliche Situation einer Gebietskörperschaft für eine nachhaltige Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens
ist, wird gerade in diesen Monaten in Deutschland deutlich. Die Flüchtlingskrise wird zu einem großen Teil auf Ebene der Städte
und Gemeinden zu bewältigen sein, deren Ressourcen, Fähigkeiten und Finanzmanagement ein wesentlichen Beitrag dazu leisten wird,
die größte gesellschaftliche Herausforderung seit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland zu meistern. Auch
wenn die öffentliche Verschuldung in den Kommunen nur ca. 10 Prozent der gesamten deutschen Staatsverschuldung ausmacht (den
Großteil verantwortet der Bund mit seinem Transferhaushalt), so ist der Anstieg der kommunalen Verschuldung mit Sorge zu betrachten.
Dies wird noch einmal deutlicher, wenn betrachtet wird, welche Ausgabentypen in den vergangen Jahren massiv gestiegen sind. Vor allem
nämlich kommunale Ausgaben für soziale Leistungen sind drastisch angestiegen, die die Bundesgesetzgebung durch Veränderung im
Sozialgesetzbuch den Kommunen nun verpflichtend zur Aufgabe macht und die vormals freiwillige soziale Leistung waren. Gerade
wirtschaftsschwachen Regionen fallen hier besondere Lasten zu, die Rahmen der Migrationsbewältigung nun noch einmal mehr belastet werden.
Neben diesen exogenen Faktoren kann die prekäre Haushaltslage der einiger Kommunen in vielen Fällen aber auch durch interne
Gründe/Faktoren, wie bspw. geringen politischen Wettbewerb im kommunalen Parlament oder Fehlsteuerungen durch die Politik und
die Kämmereien, erklärt werden. So sollten Kommunen im Sinne einer nachhaltigen, antizyklischen Haushalts- und Finanzpolitik in
guten Haushaltsjahren Überschüsse erzielen und selbige zur Schuldentilgung bzw. zum Aufbau von Rücklagen verwenden, während in
Krisenjahren Defizite eingegangen werden können, die mit dem Abbau von Rücklagen bzw. der Erhöhung des Schuldenstandes einhergehen.
Ein solches Verhalten ist in der kommunalen Praxis gleichwohl in sehr vielen Fällen nicht zu beobachten. Vielmehr hat sich seit
der Wiedervereinigung die kommunale Verschuldung tendenziell erhöht, während parallel die Steuereinnahmen bis zu Rekordwerten im
Jahr 2015 stiegen. Da in der Gesamtbetrachtung entsprechend auch in guten Haushaltsjahren netto keine Schulden getilgt worden sind,
belasten die zu zahlenden Zinsen und die zukünftigen Zinsrisiken aus dem Fremdkapitalanteil massiv den kommunalen Haushaltsausgleich.

Abbildung 2:
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Schuldenstand der Gemeinden und Gemeindeverbände (in Mrd. Euro)
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Quelle: |
Eigene Darstellung auf Basis von Deutscher Städte- und Gemeindebund (2015); jeweils zum 31.12.; ab 2010 inkl. Extrahaushalte * Wert für 2015 zum 31.3.2015
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Abbildung 3:
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Sozialausgaben und Investitionsausgaben der Gemeinden und Gemeindeverbände (in Mrd. Euro)
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Quelle: |
Eigene Darstellung auf Basis von Deutscher Städte- und Gemeindebund (2015); ohne Stadtstaaten * Werte für 2015 sind Prognose der kommunalen Spitzenverbände
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Es ist bemerkenswert, dass sich die dargestellte krisenhafte Entwicklung der Finanzsituation in wirtschaftlich prosperierenden
Zeiten vollzieht, mit einem rekordhaften Niveau der Steuereinahmen und extremer Niedrigzinspolitik der Zentralbanken, die auch
den Kommunen erlaubt, sich fast ohne Zinsbelastung neu zu verschulden. Es ist auch bemerkenswert, dass die hier dargestellte
krisenhafte Entwicklung der Finanzsituation der kommunalen Haushalte analog zur Einführung und Umsetzung des neuen kaufmännischen
Haushalts- und Rechnungswesens in Kommunen vollzogen hat. Ziel dieser Reform war es ja auch von Anbeginn vor allem durch ein neues
Haushaltswesen, der öffentlichen Verschuldung entgegenzuwirken. Es ging darum Intransparenz und Dysfunktionalitäten der kameralen
Rechnungslegung, die lediglich Einzahlungen und Auszahlungen in der kommunale Kasse abbildet, zu modernisieren und durch
ressourcenverbrauchsorientierte und periodisierte Erfassung des Leistungsverzehrs von Vermögen Impulse in den politischen Raum
zu vermitteln, dass dieses neuen Typus von gemessenen Belastungen (Aufwand) auch Erträge gegenüberstehen müssen. Heute, nach zehn
Jahren kommunaler Doppik-Erfahrung sehen wir in der Gesamtschau, dass sich die Situation im kameralen Regime, nämlich dass regelmäßig
die Ausgaben nicht durch Einnahmen gedeckt werden konnten, nun, in der periodisierten Betrachtung fortsetzt und den Aufwendungen zu
geringe Erträge gegenüberstehen. Die Folge ist, dass im intertemporalen Vergleich nun das Eigenkapital in vielen Städten und Gemeinden
über Jahre hin kontinuierlich abnimmt. Dies sei beispielhaft am Jahresabschluss des Kernhaushalts der Freien und Hansestadt Hamburg
und einigen Städten dargestellt.

Abbildung 4:
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Entwicklung des Eigenkapitals der Städte Wuppertal, Münster und Essen (in Mio. Euro)
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Quelle: |
Eigene Darstellung
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Abbildung 5:
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Entwicklung des Eigenkapitals der Freien und Hansestadt Hamburg (in Mio. Euro)
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Quelle: |
Eigene Darstellung
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Aufgrund der dargestellten Entwicklung sollte nun, nachdem hinreichende kaufmännische Jahresabschlüsse vorliegen, viel stärker
konzeptionell überlegt werden, wie aufgrund dieser Informationslage Entschuldungsmechanismen etabliert werden, als generellen
Rahmenordnung, vergleichbar mit den Insolvenzordnungen der Privatwirtschaft. Der bisherige Reformansatz durch die Verknüpfung
von kaufmännischem Rechnungswesen und kaufmännischem Haushaltswesen (wie z.B. im Konzept der Integrierten Verbundrechnung) zu
einem Haushaltsausgleich zu gelangen, bei dem die Erträge die Aufwendungen denken, hat die finanzwirtschaftliche Situation der
Kommunen jedenfalls nicht wesentlich geändert. Fehlentwicklungen (insb. intergenerativ ungerechtes Handeln) wird zwar nun
transparenter dargestellt, Handlungskonsequenzen dagegen zu steuern, scheinen in der Breite jedoch kaum festzustellen zu sein.
Es sollte daher mehr über Konzepte doppischer Schuldenbremsen (ggf. in Kombination mit Rettungsmaßnahmen durch die Länder)
nachgedacht werden. Ein Ansatz wäre den städtischen Haushaltsausgleich, also in der doppischen Terminologie, das ordentliche
Ergebnis (sowohl in der Planung als auch in der Rechnung) vorzuschreiben und zum anderen als Ultima Ratio über einen sogenannten
"Generationenbeitrag", das Ergebnis auszugleichen, sofern dieses nicht ausgeglichen ist. Der Generationenbeitrag ist z.B. eine
Sonderabgabe in Form einer Erhöhung auf eine bereits existierende Abgabe bzw. Ertragsquelle. Sie nimmt in jedem Jahr exakt jene
Höhe an, die den Haushalt vollständig ausgleichen würde. Die Abgabe wird allerdings nur dann eingehoben, wenn der Haushaltsausgleich
von der jeweiligen Kommune nicht selbständig erreicht wird. Als Basis für den Generationenaufschlag könnte sich bei Städten und
Gemeinden die Grundsteuer B eignen, da sie aufkommensstark ist, die Städte und Gemeinden ein Hebesatzrecht haben, die Steuer alle
Bevölkerungsgruppen belastet und zudem kaum Wanderungsbewegungen induziert. Dieses konkrete Modell der doppischen Kommunalschuldenbremse
mit Generationenbeitrag, das z.B. in Form einer Nachhaltigkeitssatzung im Ortsrecht verankert werden kann, haben bereits verschiedene
Gemeinden in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen eingeführt. Das Konzept kann anderen Kommunen in Deutschland als Vorbild dienen,
in Eigeninitiative Anreize zu schaffen, dauerhaft generationengerecht zu wirtschaften - wenn gewollt.
4. Fazit und Ausblick
Die Kommunalfinanzen befinden sich mancherorts in einer kritischen Lage. Trotz sprudelnder Steuereinnahmen und einem fast ausgeglichenen
Bundeshaushalt, fällt es einigen Kommunen in Deutschland zunehmend schwer, ihre stetig wachsenden Aufgaben zu meistern und analog ihre
Ausgaben zu decken. In der Konsequenz hatte diese Situation zu einem deutlichen Einbruch im kommunalen Finanzierungssaldo der Flächenländer
geführt, der durch die Herausforderung durch die Flüchtlingskrise noch wieder verschärft wird. Es bleibt abzuwarten ob es dem Bund und den
Ländern gelingen wird, deckende Ausgleichs- und Transferregime zur Refundierung und Unterstützungen der kommunalen Herausforderungen zu
entwickeln. Begehrlichkeiten der Gemeinden nach Unterstützung durch Bund und Ländern sind jedenfalls nicht neu und haben in der Vergangenheit
bereits häufiger dazu geführt, die kommunale Finanzausstattung zu verbessern, z.B. durch Zuweisungen, Rettungspakete oder Erstattungen aus
Konnexitätsansprüchen (wie bspw. bei der Jugendhilfe oder beim Mindestlohn) oder die vom Bund gewährte Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung. Zukünftig wäre zu hoffen, dass Kriterien der Bedürftigkeit, gerade bei konsolidierungsbedürftigen Kommunen stark am
doppischen Jahresabschluss orientiert sind, so wie bspw. u.a. auch beim Hessischen Schutzschirm geschehen. Überhaupt wird das Thema des
kommunalen Sanierungsmanagements in der Wissenschaft, wie auch in der Praxis zu wenig berücksichtigt. Denn die Mehrheit der Kommunen wird
nicht unverschuldet in ihre Lage gekommen sein und könnte durch Eigenverantwortung aktiv die Qualität ihre Haushalte erhöhen, wenn gewollt.
Schließlich geht dies aus dem funktionalen Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung hervor, was auch bedeutet, sich nicht auf die zunehmenden
staatlichen Transfers von Bundes- bzw. Landesebene zu verlassen bzw. von diesen abhängig zu werden.
Insbesondere die Finanz- und Wirtschaftskrise hat verdeutlicht, wie wichtig es auch für Kommunen ist, Risiken (Finanzrisiken, aber
z.B. auch soziale Risiken) frühzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Gegenwärtig scheint das günstige EZB-Zinsniveau für
viele Kommunen verlockend zu sein, sich neu zu verschulden. Dies ist aber auf Dauer brandgefährlich. Denn neben dem stetig vorhandenen
Zinsänderungsrisiko und der Frage nach Anschlussfinanzierungen mag dies (ähnlich wie auf privater Ebene im Immobilien und Derivatemarkt)
Blasenbildungen induzieren. Durch hohe Investitionen verteuert sich nicht nur der städtische Immobilien- und Infrastrukturbau, sondern
es besteht auch die Gefahr der Erzeugung von Sozialblasen. Denn durch die Gewährung von Sozialtransfers, Grundsicherung, Wohnungsunterstützung
oder Integrationshilfen (die ja massiv mit dem Phänomen der ungesteuerten Einwanderung verbunden ist), ergeben sich Sperrklinkeneffekte
bzw. Erwartungshaltungen, so dass diese Leistungen nicht wieder von einem Tag auf den anderen reduziert werden können, wenn sich die
finanzwirtschaftliche Situation ändert. Das Platzen dieser Sozialblasen (also die Rücknahme von staatlichen Leistungen an die Bürger)
geht typischerweise mit gesellschaftlichen Umbrüchten und Verwerfungen einher (wie jüngst in Kontext der Austeritätsmaßnahmen in
Griechenland zu beobachten war, die bis zum heutigen Tage nicht vollständig vollzogen sind).
Um derartigen Fehlentwicklungen rechtzeitig zu erkennen (und das fängt auf der kommunalen Ebene schon beim Wegfall eines wichtigen
Gewerbesteuerzahlers an), haben einige Kommunen damit begonnen, Risikomanagement-Systeme aufzubauen. In einigen Bundesländern (z.B.
Nordrhein-Westfalen) schreibt auch das Haushaltsrecht vor, z.B. im Rahmen des Lageberichts zum doppischen Jahresabschluss, auf Chancen
und Risiken der künftigen Entwicklung einzugehen. Hier besteht ganz offenkundig ein erheblicher Bedarf, Konzepte und Formen einer
effizienten und wirksamen Risikoberichterstattung für den kommunalen Raum zu schaffen. In diesem Kontext müsste man wahrscheinlich
auch überlegen, Verpflichtungen, die aus versprochenen Sozialtransfers entstehen, systematisch in das kaufmännische Rechnungswesen
einzubeziehen und besser abzubilden. Für Maßnahmen, die notwendigerweise für die Integration notwendig und beschlossen sind und
zukünftige Generationen fiskalisch belasten, könnten heute schon Rückstellungen ausgewiesen werden. Derzeit arbeitet auch das
IPSAS-Board an der Entwicklung von Standards zum Darstellung von Social Benefits.
Mit der Einführung des neuen kommunalen Haushalts- und Rechnungswesens war die Steuerung des "Konzerns Kommune" (d.h. Kernverwaltung
plus Auslagerungen) von Anbeginn ein wesentliches Element auf der Reformagenda. Der bereits in der Kameralistik erstellte
Beteiligungsbericht wird ergänzt durch den Gesamt-/Konzernabschluss, der die Finanzdaten aus den Jahresabschlüssen von Kernverwaltung
und Auslagerungen konsolidiert darstellt. Die Aufstellung solcher Gesamt-/Konzernabschlüsse sieht das doppische Haushaltsrecht für
alle Flächenländer vor. Mit der Einführung eines Gesamtabschlusses werden die bisherigen auf Intransparenz und Informationsasymmetrie
basierenden Anreize beseitigt bzw. relativiert, Organisationspolitik und Finanzpolitik miteinander zu vermengen. So wird die Verlagerung
von Finanzierungs- und Verschuldungsmaßnahmen aus dem Kernhaushalt auf dezentrale Schattenhaushalte im Gesamtabschluss einschließlich
einer Kapitalflussrechnung transparent. Zukünftig werden die doppisch bilanzierenden Kommunen lernen müssen, damit zu steuern, und ein
professionelles Beteiligungsmanagement zu institutionalisieren. Das Verhältnis von Beteiligungsverwaltung und Gesamtabschluss ist in
diesem Kontext generell zu überdenken und es ist fraglich ob die klassische organisatorische Zweiteilung einer Gebietskörperschaft in
Kernverwaltung und Beteiligungsverwaltung ist in seiner bisherigen Form mit Einführung eines einheitlichen Rechnungswesens für alle
Einheiten und eines Gesamtabschlusses grundsätzlich noch funktional ist. Eine gegenüber anderen Bereichen herausgehobene Aufmerksamkeit,
Einflussnahme und Kontrolle lässt sich nicht länger aus verschiedenen Organisationsformen begründen, sondern nur aus unterschiedlichen
Kategorien einzelner von unterschiedlichen Einheiten wahrgenommener Aufgabenfelder, so genannter Segmente. Denkbar ist, dass in Zukunft
an die Stelle der Beteiligungsverwaltung ein einheitliches "Segmentmanagement" tritt. Dabei steht das Verhältnis zwischen dem Produktkonzept
(mit seinen Produkten und Produktgruppen) und dessen organisatorischer Umsetzung und den Segmenten in Frage. Für die Segmente, die den
wesentlichen Politik- bzw. Aufgabenfeldern (und in der Terminologie der gegebenen Struktur Fachverwaltungen) entsprechen, sollte im
Rahmen des Gesamtabschlusses eine Segmentberichterstattung erfolgen. Die Segmente wiederum sind zum Gegenstand eines zentralen Controllings
zu machen. Beispiele, wie die Abwicklung der HSN Nordbank als Tochter der Freien und Hansestadt Hamburg, zeigen die Sinnhaftigkeit und
Transparenzvorteile der Doppik. Schon im Jahresabschluss 2014 werden 4,00 Mrd. Euro für mögliche Inanspruchnahme aus Garantien passiviert.
Auf der anderen Seite zeigt es bei einem Jahreshaushalt von 12 Mrd. Euro der Stadt Hamburg, welche enormen Risiken in den Beteiligungen zu
verzeichnen sind, denen sich in den klassischen Haushaltsaufstellungs- und Berichtsverfahren und Controllingkonzepten bisher viel zu
wenig gewidmet wird.
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