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Die Stadt Jena entschulden: "Wann, wenn nicht jetzt?"
Die Stadt Jena entschulden: "Wann, wenn nicht jetzt?"
Ein Interview mit Dr. Götz Blankenburg (Fachbereichsleiter Finanzen der Stadt Jena)
13. Dezember 2011
In den Jahren 2009 und 2010 war der Finanzierungssaldo der Kommunen der Flächenländer deutlich negativ. Für das Jahr 2011
erwartet der Deutsche Städtetag ebenfalls ein Defizit. Gleichwohl trotzen einige Kommunen diesem Trend. So fasste z.B. die
knapp 105.000 Einwohner zählende Stadt Jena in Thüringen mitten in den Krisenjahren den Beschluss, die Stadt komplett zu
entschulden. Eine lobenswerte Ausnahme.
HaushaltsSteuerung.de sprach dazu mit Dr. Götz Blankenburg (Bild), dem Fachbereichsleiter Finanzen der Stadt Jena.
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HaushaltsSteuerung.de: Herr Dr. Blankenburg, die Stadt Jena hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt,
sich komplett zu entschulden. Wie ist die Idee einer "schuldenfreien Stadt Jena" entstanden?
Blankenburg: Jena hat in den 1990er Jahren Kredite von über 160 Mio. Euro aufnehmen müssen. Nur so
konnte nach der Wende die Kofinanzierung der umfangreichen Fördermittel gesichert werden, da die eigene
Finanzkraft bei weitem nicht ausreichte, die notwendigen Investitionen zu stemmen. Ab der Jahrtausendwende
verbesserte sich die Steuerkraft schrittweise und liegt mittlerweile bei knapp 70 % des Bundesdurchschnitts
vergleichbarer Städte. Dieser Anstieg der Eigenfinanzierung ermöglichte es bis zum Ende des Jahres 2009,
den Schuldenstand um rund 70 Mio. Euro zu verringern. Diesen Prozess zu verstetigen und institutionell
abzusichern, ihn konzeptionell zu erfassen und politisch offensiv diskutieren zu lassen, lag da auf der Hand.
HaushaltsSteuerung.de: Häufig hört man seitens der Kommunalpolitik, dass Bürger zwar grundsätzlich Ziele wie
Schuldenfreiheit befürworten würden, aber die Stimmung immer dann umschlägt, wenn die dazu notwendigen
Konsolidierungsmaßnahmen konkret werden – wie ist Ihr Eindruck dazu?
Blankenburg: Nach meiner Erfahrung wird gerade umgekehrt ein Schuh draus: In Jena konnten wir im Rahmen des
Bürgerhaushalts den Stellenwert des Schuldenabbaus gegenüber anderen Investitionsvorhaben abfragen. Im Ergebnis gab es eine deutliche
Mehrheit für den überproportionalen Mitteleinsatz zur Entschuldung
http://www.jena.de/fm/41/Anlage%203%20Auswertung%20FH%20Vollversion.pdf.
Zahlreiche Vorschläge aus den Fraktionen für verbesserte Straßen, sozialen
Wohnungsbau oder Ähnliches wurden durch die Bürgerinnen und Bürger deutlich weniger
unterstützt.
Außerdem ist der Konflikt falsch konstruiert, denn Entschuldung muss nicht gegen
Konsolidierung abgewogen werden. Wir geben inzwischen für den gesamten
Schuldendienst weniger aus als früher, allein für die Zinsen. Gerade durch die
Entschuldung haben wir nun wieder Freiräume. Viele Menschen verstehen das. Nur geht
der Blick für diesen Zusammenhang oft verloren, wenn man in den gesetzlich
vorgeschriebenen Jahreszyklen verharrt.
HaushaltsSteuerung.de: Es erscheint oftmals als relativ einfach, die zumeist wenig
populären Konsolidierungsmaßnahmen politisch zu torpedieren. Wie bewerten sie vor
diesem Hintergrund die Aussage, dass Haushaltskonsolidierung und Schuldenabbau nur
gelingen, wenn Rat und Verwaltungsführung als Mannschaft zusammenarbeiten? Und wie
gestaltet sich das Ganze in Jena: Wird der Entschuldungsprozess (immer) von einer
breiten politischen Mehrheit getragen? Wie stehen die Verwaltungsmitarbeiter dem
Vorhaben gegenüber?
Blankenburg: Der Stadtrat in Jena handelt ausgesprochen verantwortungsbewusst.
Dennoch gab es Skepsis vor der Einführung des Entschuldungskonzepts, sowohl in der
Politik als auch in der Verwaltung. Die Sorgen waren vor allem: Können wir noch
hinreichend investieren? Bringen wir uns damit um Entwicklungschancen? Sind wir noch
flexibel genug? Schließlich aber wurde das Vorhaben nach langen Diskussionen in allen
politischen Lagern und nicht nur von ausgewählten Koalitionsfraktionen unterstützt, wozu
sicherlich auch das Ergebnis des Bürgerhaushalts beigetragen hat.
HaushaltsSteuerung.de: Eine Stadt aus eigener Kraft und ohne die Veräußerung des
sprichwörtlichen "Tafelsilbers" zu entschulden ist kein leichtes Unterfangen. Dies gilt im
Besonderen vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise. Über welche
Maßnahmen soll das ambitionierte Ziel "Schuldenfreiheit" in Jena erreicht werden?
Blankenburg: Zum einen binden wir sehr systematisch die Eigenbetriebe und
Eigengesellschaften ein. Deren Gewinne werden zweckgebunden eingesetzt. Das ist
berechenbar und verdeutlicht jedem Mitarbeiter, dass er nicht für irgendetwas, sondern
für ein konkret benanntes Ziel seinen Beitrag leistet.
Zum zweiten werden wir die bestehende Situation ausnutzen: Das Gewerbesteueraufkommen
ist deutlich gestiegen. Gleichzeitig sorgt der Solidarpakt noch für einen Mittelzufluss,
den wir langfristig nicht mehr erwarten können. Also lenken wir die Gelder in die Entschuldung
statt neue Leistungen oder Investitionen zu finanzieren, deren Folgekosten wir später aus
eigener Kraft nicht mehr stemmen können.
Damit senkt das Entschuldungspaket den künftigen
Konsolidierungsdruck doppelt: Das Anspruchsniveau an städtische Ausgaben bleibt bescheidener,
die Zinslasten sinken.
HaushaltsSteuerung.de: Die Stadt Jena hat ein Neuverschuldungsverbot in ihre Hauptsatzung
aufgenommen. Würden Sie eine solche Satzungsregelung auch anderen Kommunen empfehlen, die
sich das Ziel der Entschuldung gesetzt haben?
Blankenburg: Unbedingt würde ich für die Kreditaufnahme Regeln aufstellen und diese in der
Hauptsatzung verankern. Das erhöht die Glaubwürdigkeit und Selbstbindung der Politik. Welche
Regeln die richtigen sind, hängt von der finanziellen und strukturellen Situation der jeweiligen
Kommune ab. Da sollte man unsere Formulierung nicht einfach kopieren.
HaushaltsSteuerung.de: Die Stadt Jena hat ihre Haushaltswirtschaft auf die Doppik umgestellt.
Inwiefern sind die neuen Informationen aus Ihrer Sicht für die Erreichung des Entschuldungsziels hilfreich?
Blankenburg: Im doppischen Haushalt wird im Vergleich zum kameralen sehr schön deutlich, dass
Schuldenabbau und Konsolidierung zwei Seiten derselben Medaille sind. Denn Tilgungen belasten
kurzfristig nicht den Erfolgsplan, führen aber in Zukunft zu echter Einsparung. Im kameralen
Haushalt hing das über die Zuführung vom Verwaltungs- an den Vermögenshaushalt indirekt zusammen,
nunmehr ist es klar getrennt.
Ob durch die Doppik auch der Blick für mittelfristige Wirkungen
geschärft wird, hängt stark von der Formulierung des Haushaltsausgleichs in den Haushaltsverordnungen
der einzelnen Länder ab und ist zugleich eine Frage der Diskussions- und Planungskultur. Im ersten
Jahr der Doppik kann ich dazu noch keine Einschätzung abgeben.
HaushaltsSteuerung.de: Die Stadt Jena hat ihre Schulden im Rahmen des Entschuldungsprozesses zunächst
auf den Eigenbetrieb Kommunale Immobilien Jena (KIJ) übertragen. Was waren die Gründe für dieses Vorgehen?
Man hätte die Schulden schließlich auch im Kernhaushalt behalten und dort zurückführen können.
Blankenburg: Zunächst war es wichtig, die Bankverbindlichkeiten zu bündeln, die bislang bei Kernverwaltung
und Eigenbetrieb verstreut lagen. Nur durch die Zusammenfassung an einer Stelle gerät das Gesamtportfolio
in den Blick, das bei einem vorgeschriebenen Entschuldungspfad viel erfolgversprechender gesteuert werden
kann als in der unklaren Situation, wann welche Kredite hinzukommen.
Dass die Bündelung bei KIJ erfolgte,
liegt am "Geschäftsmodell": Zahlungstermine mit den Kreditinstituten sind in der Regel fest vereinbart.
Diese fixen Kosten sind angesichts der konjunkturell und politisch schwankenden Einnahmen einer Kommune
ein stetiger Klotz am Bein. KIJ dagegen als wirtschaftlicher Eigentümer und Vermieter aller städtischen
Hochbauten hat ein stabiles Geschäftsumfeld, das die leichtere Integration der Tilgungen in die Unternehmensplanung
erlaubt. Mit der gefundenen Lösung kann der städtische Haushalt je nach Ertrags- und Finanzlage Tilgungsleistungen
gegenüber dem Eigenbetrieb (in Grenzen) kostenfrei variieren. Die ggf. entstehende Lücke kann bei KIJ aufgrund
des laufenden Geschäfts gedeckt werden.
Schließlich hat die Ausgliederung aber auch den Vorteil, dass das Paket
technisch auf einer Vereinbarung zwischen Stadt, KIJ und Stadtwerken beruht. Dadurch kann das Paket nicht ohne
öffentlichkeitswirksamen Beschluss des Stadtrats aufgehoben werden. Wir können uns nicht stillschweigend aus
der schriftlich eingegangenen Verpflichtung heraus stehlen, und haben damit die Selbstbindung erhöht.
HaushaltsSteuerung.de: Die Finanz- und Wirtschaftskrise belastet die kommunalen Haushalte sehr stark.
Ist das Ziel der Erreichung der Schuldenfreiheit bis zum Jahr 2025 in Anbetracht der gesamtwirtschaftlichen
Rahmenbedingungen aus Ihrer Sicht noch immer realistisch?
Blankenburg: Wir haben im ersten Jahr des Entschuldungskonzepts bereits Sondertilgungen vornehmen können
und auch 2012 rechne ich mit zusätzlichen Tilgungen, weil die konjunkturell belastenden Einflüsse der Finanz-
und Wirtschaftskrise in Jena durch die positiven strukturellen Effekte kompensiert werden konnten: Die
Gewerbesteuer liegt 2011 beim "all-time-high", die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie in den letzten 20
Jahren nicht. Wann, wenn nicht jetzt, ist es Zeit, dass wir uns entschulden?!
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