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Entwicklung der rechnerischen Durchschnittszinssätze von Bund, Ländern und Kommunen in Deutschland seit 2001
Entwicklung der rechnerischen Durchschnittszinssätze von Bund, Ländern und Kommunen in Deutschland seit 2001
30. Oktober 2016 |
Autor: Andreas Burth
Die öffentlichen Haushalte profitieren derzeit von ausgesprochen niedrigen Zinssätzen. Die hieraus resultierenden
geringen Zinsausgaben entlasten die Haushalte in einer Größenordnung von mehreren Milliarden Euro pro Jahr. Dies gilt
gleichermaßen für Bund, Länder und Kommunen in Deutschland. Interessant ist vor diesem Hintergrund ein Blick auf die
Entwicklung der durchschnittlichen Zinssätze, die vom deutschen Staat gezahlt werden.
Ziel des vorliegenden Blog-Eintrags ist es, für den Gesamtstaat, den Bund, die Länder und die Kommunen in Deutschland
die rechnerischen Durchschnittszinssätze zu berechnen und deren Entwicklung im Zeitablauf über die Jahre 2001 bis 2015
darzustellen. Ferner wird anhand von szenarienbasierten Beispielrechnungen aufgezeigt, in welchem Ausmaß die öffentlichen
Haushalte von der derzeitigen Niedrigzinsphase profitieren.
Überblick:
- Methodische Anmerkungen
- Entwicklung der rechnerischen Durchschnittszinssätze
- Finanzielle Entlastung durch niedrige Durchschnittszinssätze
- Weitere Informationen
Methodische Anmerkungen
Als Datengrundlage für diesen Beitrag fungieren Statistiken von Eurostat. Die Abgrenzungen der genutzten Finanzgrößen
orientierten sich am Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen 2010 (ESVG 2010). Verwendet werden
vierteljährliche Schuldenstände und jährliche Zinsausgaben. Abgedeckt werden die
Kern- und
Extrahaushalte (sog.
Sektor Staat bzw.
öffentlicher Gesamthaushalt). Es wird eine Differenzierung nach Bund, Ländern und Kommunen
vorgenommen. Ferner wird der Gesamtstaat (inkl. gesetzlicher Sozialversicherung) untersucht.
» Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen 2010 (ESVG 2010)
Hrsg.: Eurostat
Betrachtet wird das gesamte Schuldenportfolio nach Maastricht-Vertrag. Es werden folglich sowohl höher verzinste
Altschulden als auch niedrig verzinste neue Schulden einbezogen. Der Anteil der höher verzinsten Altschulden
nimmt in Zeiten niedriger Zinsen von Jahr zu Jahr ab, da sie in niedrig verzinste neue Schulden umgeschuldet werden
können. Die Zinsbindung von Altschulden führt dazu, dass sich Änderungen im allgemeinen Zinsniveau erst mit
einer gewissen Verzögerung im rechnerischen Durchschnittszinssatz niederschlagen. In Phasen fallender Zinsen ist
sind Zinsbindungsfirsten aus Sicht des Schuldners (hier: der Staat) tendenziell nachteilig, in Phasen steigender
Zinsen tendenziell vorteilhaft. Einen Überblick über die Fälligkeitsstruktur und den variabel verzinsten Anteil der
Staatsverschuldung Deutschlands können Sie z.B. nachstehendem Link entnehmen.
» Fälligkeitsstruktur und variabel verzinster Anteil der deutschen Staatsschulden, Blog-Eintrag vom 9. Juni 2016
Autor: Andreas Burth
Das hier verwendete Verfahren zur Berechnung der rechnerischen Durchschnittszinssätze wird im Folgenden beispielhaft für das
Jahr 2015 erläutert. Die Berechnungen für die übrigen Jahre erfolgen analog hierzu.
Der rechnerische Durchschnittszinssatz für das Jahr 2015 ergibt sich, indem die Zinsausgaben des Jahres 2015 durch den
durchschnittlichen Schuldenstand des Jahres 2015 geteilt werden. Durchschnittliche Schuldenstände für das Jahr 2015 sind
statistisch nicht verfügbar. Deshalb müssen stichtagsbezogene Schuldenstände als Hilfsgrößen verwendet werden. Der
durchschnittliche Schuldenstand wird an dieser Stelle aus den Schuldenständen zum Quartalsende berechnet. Insgesamt werden
für das Jahr 2015 fünf Schuldenstände in die Analyse einbezogen: der 31.12.2014, der 31.3.2015, der 30.6.2015, der 30.9.2015
und der 31.12.2015. Jeder dieser Schuldenstände repräsentiert für die Zwecke dieses Beitrags einen Zeitraum von anderthalb
Monaten vor und anderthalb Monaten nach dem Stichtag (siehe Abbildung 1). Beim 31.12.2014 fallen jeweils nur die anderthalb Monate
nach und beim 31.12.2015 nur die anderthalb Monate vor dem Stichtag in das betrachtete Jahr 2015.
Der Schuldenstand zum 31.12.2014 repräsentiert für das Jahr 2015 den Schuldenstand im Zeitraum Anfang Januar 2015 bis Mitte
Februar 2015. Für den Schuldenstand zum 31.3.2015 ist es der Zeitraum Mitte Februar 2015 bis Mitte Mai 2015. Dem Stichtag
30.6.2015 wird die Zeit von Mitte Mai 2015 bis Mitte August 2015 zugerechnet. Beim 30.9.2015 ist es der Zeitraum Mitte August
bis Mitte November 2015. Dem Schuldenstand zum 31.12.2015 wird die Zeit von Mitte November 2015 bis Ende Dezember 2015 zugeordnet.
In die Berechnungsformel zur Bestimmung des durchschnittlichen Schuldenstandes fließen die Schulden zum 31.12.2014 und
31.12.2015 in einer einfachen Gewichtung ein (sie repräsentieren jeweils nur anderthalb Monate des Jahres 2015). Die Schulden
zum 31.3.2015, zum 30.6.2015 und zum 30.9.2015 werden doppelt gewichtet, da sie jeweils drei Monate (d.h. zwei Mal anderthalb
Monate) des Jahres 2015 repräsentieren.
Der durchschnittliche Schuldenstand wird demnach über nachfolgende Formel berechnet:
Darauf aufbauend bestimmt sich der rechnerische Durchschnittszinssatz im Jahr 2015 über untenstehende Formel:
Für die übrigen Jahre (d.h. 2001 bis 2014) werden die rechnerischen Durchschnittszinssätze in analoger Weise berechnet.
Nicht zuletzt sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die hier verwendeten Statistiken von Eurostat aufgrund
methodischer Unterschiede wertmäßig von den Daten aus der deutschen Finanzstatistik abweichen können. So sind beispielsweise
im nachfolgend verlinkten Beitrag auf Grundlage der deutschen Kassenstatistik ebenfalls rechnerische Durchschnittszinssätze
berechnet worden. Die gemäß Kassenstatistik ermittelten Zinssätze liegen zwar in einer ähnlichen Größenordnung, sind jedoch
nicht identisch zu den Zinssätzen nach Eurostat-Statistik.
» Rechnerische Durchschnittszinssätze der Schulden von Bund, Ländern und Kommunen in Deutschland, Blog-Eintrag vom 7. Juni 2016
Autor: Andreas Burth
Entwicklung der rechnerischen Durchschnittszinssätze
Wie aus Abbildung 2 hervorgeht, sind die rechnerischen Durchschnittszinssätze im Zeitablauf tendenziell gefallen. Lediglich
in den Jahren vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise (d.h. bis 2008) ist eine kurze Phase mit leichten Zinssatzsteigerungen
festzustellen. 2008 und 2009 sind für Bund, Länder und Kommunen nahezu identische Werte zu beobachten. In den Jahren nach 2008
sind die Durchschnittszinssätze sehr deutlich gefallen. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Trend weiter fortsetzt. Bereits
im Jahr 2016 könnte erstmals die Marke von 2,00 Prozent unterschritten werden.
Im Jahr 2001 hatte der Bund den höchsten und die kommunale Familie den niedrigsten Durchschnittszinssatz. 2015 hat sich die
Situation umgekehrt (wobei Bund, Länder und Kommunen näher beieinander liegen als 2001).
Finanzielle Entlastung durch niedrige Durchschnittszinssätze
Die sehr niedrigen Zinssätze entlasten die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen. Interessant ist vor diesem Hintergrund
zu fragen, wie hoch diese Entlastung ausfällt. Zu diesem Zweck werden im Folgenden fiktive Beispielrechnungen unter
Verwendung zweier Szenarien durchgeführt:
-
Szenario 1 nimmt an, dass der rechnerische Durchschnittszinssatz bei 4,00 Prozent liegt. Dies entspricht in etwa der
Zinssituation kurz vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise (d.h. 2007/08).
-
Szenario 2 geht von einem rechnerischen Durchschnittszinssatz von 5,00 Prozent aus. Dies spiegelt grob die Zinssituation zu
Beginn des Jahrtausends (d.h. 2001/02) bzw. zur Zeit der Einführung des Euro-Bargelds (d.h. 2002) wider.
Die folgenden Berechnungen werden jeweils unter der Annahme sonst gleicher Bedingungen durchgeführt. Sie werden per einfachem Dreisatz
aus den tatsächlichen Werten des Jahres 2015 ("Tatsächliche Situation im Jahr 2015") bestimmt. Die tatsächliche
Situation ist in nachstehender Tabelle ebenfalls dargestellt (siehe linke Spalten). Der Gesamtstaat verzeichnet demnach
im Jahr 2015 tatsächliche Zinsausgaben von 47,27 Mrd. Euro bei einem rechnerischen Durchschnittszinssatz von 2,18 Prozent.
Für Szenario 1 (4,00 Prozent) ergibt sich eine Steigerung der rechnerischen Zinsausgaben 2015 auf 86,91 Mrd. Euro.
Dies entspricht einem Zuwachs der Zinsausgaben um 39,64 Mrd. Euro bzw. 83,84 Prozent im Vergleich zu den tatsächlichen
Zahlen des Jahres 2015.
In Szenario 2 (5,00 Prozent) liegen die rechnerischen Zinsausgaben des Jahres 2015 bei 108,64 Mrd. Euro. Im Vergleich zu
den tatsächlichen Zinsausgaben des Jahres 2015 wäre dies eine Erhöhung der Zinsbelastung um 61,36 Mrd. Euro bzw.
129,80 Prozent.
Im Jahr 2015 hat der deutsche Staat einen Finanzierungsüberschuss von +20,92 Mrd. Euro erwirtschaftet. Dies sind +0,69
Prozent des nominalen BIP. In Szenario 1 läge der Finanzierungssaldo bei deinem Defizit von -18,71 Mrd. Euro bzw. -0,62
Prozent des nominalen BIP. Im Falle von Szenario 2 bestünde ein Finanzierungsdefizit von -40,44 Mrd. Euro bzw.
-1,33 Prozent des nominalen BIP. Zwar würde Deutschland somit auch im Falle eines Durchschnittszinssatzes von 5,00 Prozent
nicht die 3-Prozent-Defizit-Grenze des Maastricht-Vertrags überschreiten - dennoch wäre der Effekt groß genug, um ein
deutliches Staatsdefizit zu verursachen. Es wird erkennbar, welche zusätzlichen haushaltspolitischen Spielräume dem Staat
aktuell durch die niedrigen Zinsen entstehen.
Weitere Informationen
Ergänzende Informationen zu den staatlichen Zinsausgaben Deutschlands finden Sie auf HaushaltsSteuerung.de u.a. über nachfolgende Seiten.
» Zinsuhr zu den staatlichen Zinsausgaben von Deutschland
Hrsg.: HaushaltsSteuerung.de
» Staatsverschuldung und Staatsdefizit von Deutschland
Hrsg.: HaushaltsSteuerung.de
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