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Haushaltsreformen in Deutschland: Wohin geht die Reise?
Haushaltsreformen in Deutschland: Wohin geht die Reise?
Ein Interview mit Jun.-Prof. Dr. Dennis Hilgers (Juniorprofessor an der Universität Hamburg)
8. Dezember 2009
Das Haushalts- und Rechnungswesen in Deutschland befindet sich im Umbruch. Sowohl auf kommunaler als auch auf staatlicher
Ebene beginnen Schritt für Schritt immer mehr Gebietskörperschaften damit, ihr Haushalts- und Rechnungswesen durch Umstellung
auf die erweiterte Kameralistik bzw. die Doppik zu modernisieren. In diesem Modernisierungsprozess spielen auch Deutschlands
Hochschulen durch ihre Forschungsaktivitäten eine wichtige Rolle.
HaushaltsSteuerung.de sprach hierzu mit Jun.-Prof. Dr. Dennis Hilgers (Bild), Inhaber der Juniorprofessur "Public Management" an der Universität
Hamburg.
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HaushaltsSteuerung.de: Herr Dr. Hilgers, Ihr Vorgänger im Bereich "Public Management" an der
Universität Hamburg, Herr Prof. Budäus, hat in seinem "Manifest zum öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesen in Deutschland"1
auf die schwierige Situation des Bereichs "Public Managements" an deutschen Universitäten hingewiesen. Wie beurteilen Sie die
Situation? Was hält den Staat Ihres Erachtens davon ab, diesen Fachbereich substantiell auszubauen?
Hilgers: Wir befinden uns in einer Zeit, in der die staatlichen Hochschulen mehr Freiheit denn
je genießen (z.B. Hochschulfreiheitsgesetz in NRW) und somit mehr denn je über ihre strategische Ausrichtung nachdenken (auch um
sich von privaten und anderen öffentlichen Hochschulen abzugrenzen bzw. Alleinstellungsmerkmale für Drittmittelgeber zu erlagen).
Insbesondere die wirtschaftwissenschaftlichen Fakultäten verschärfen dabei Ihr Profil und clustern sich zu wichtigen Themenfeldern
(z.B. Logistik, Finance, Gesundheit, etc.). Dies ist eine sehr zu begrüßende Entwicklung hin zu effektiven Kooperationen in
Forschung und Lehre, in Abkehr monolithischer Einzellehrstühle. Eine derartige Entwicklung ist allerdings für das Themengebiet
des Public Managements, mit dem Betrachtungsgegenstand der öffentlichen Kernverwaltung unter der Lupe der Wirtschaftswissenschaft
bzw. der Managementforschung, nicht zu erkennen. Trotzdem gibt es bezüglich der Steuerung und zukunftsfähigen Ausrichtung
staatlicher und kommunaler Gebietskörperschaften enormen Forschungsbedarf und auch international ist dieses Fach völlig anerkannt
und hinreichend vertreten.
HaushaltsSteuerung.de: Einmal aus Sicht eines potentiellen Nachwuchsforschers gefragt: Warum
sollten sich Studienanfänger Ihrer Ansicht nach gerade für eine Studienrichtung "Public Management" entscheiden? Welche beruflichen
Möglichkeiten eröffnen sich diesen angehenden Akademikern?
Hilgers: Ich halte nach wie vor ein Studium bzw. eine Vertiefung im Bereich Public Management
für eine gute Entscheidung, auch aufgrund der beruflichen Perspektiven. Aufgrund der wenigen Lehrstühle in Deutschland genießen
die Studierenden derzeit ein gewisses Alleinstellungsmerkmal bei den Arbeitgebern und bei einer Staatsquote von knapp 50% sollte
es hinreichend Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor geben. Der öffentliche Sektor benötigt, wie jede andere Wirtschaftsbranche,
gut ausgebildetes und hoch qualifiziertes Personal. Außerdem wird sich im öffentlichen Dienst in den kommenden Jahren zunehmend
der demographische Wandel bemerkbar machen und eine Pensionswelle in Gang setzen. Grundsätzlich ermöglicht der Masterabschluss
einen Laufbahneinstieg in den höheren Dienst, der Bachelor in den gehobenen Dienst und damit für Einige eine attraktive Beamtenkarriere.
HaushaltsSteuerung.de: Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Haushaltsgrundsätzegesetzes (HGrG-MoG)
können Bund und Länder inzwischen auf die Doppik umstellen, ohne parallel die Kameralistik weiterführen zu müssen. Haben Sie den
Eindruck, dass dies zu einem Anstoß für die flächendeckende Einführung der Doppik in der Bundesverwaltung bzw. in den Landesverwaltungen
werden könnte?
Hilgers: Die "staatliche Doppik" aus dem HGrG-MoG ist zweifelsohne ein gutes Signal und bietet einen
ersten rechtlichen sicheren Rahmen für eine Umstellung! Leider kann derzeit von einer Modernisierungswelle des öffentlichen Haushalts-
und Rechnungswesens auf der staatlichen Ebene aber nicht gesprochen werden. Lediglich die Bundesländer Hamburg, Hessen und NRW planen
(bzw. implementieren bereits) ein integriertes Haushalts- und Rechnungswesen auf kaufmännischer Basis. Der Bund hat sich mit dem
Umstieg auf eine "moderne" Kameralistik leider mittelfristig gegen ein reines kaufmännisches Rechnungswesen und nur für eine halbherzige
Implementierung einer Produktorientierung sowie einer Kostenrechung entschieden.
HaushaltsSteuerung.de: In den meisten Ländern werden die Kommunen verpflichtet auf ein doppisches
Haushalts- und Rechnungswesen umzusteigen. Wird es für die Länder angesichts dessen und vor dem Hintergrund des HGrG-MoG nun nicht
sogar zu einer "politischen Pflicht" ebenfalls auf die Doppik umzustellen? Schließlich könnten die Kommunen kritisch hinterfragen,
warum gerade sie auf die Doppik umstellen müssten, während die meisten Landesverwaltungen selbst nicht zu diesem Schritt bereit seien.
Hilgers: Dies ist in der Tat eine frappierende Situation und zeigt, wie heterogen das öffentliche
Haushalts- und Rechungswesen in Deutschland derzeit ist (insbesondere wenn man bedenkt, dass länderabhängig auch noch verschiedene
Bewertungsansätze und Billanzierungsvorschriften für die Kommunen bestehen). Es bleibt zu hoffen, dass sich aus dieser Diskrepanz
ein Eigenleben auf der Länderebene entwickelt und kein falsches Signal in Richtung der Kommunen gesandt wird.
HaushaltsSteuerung.de: Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP lässt die Frage unbeantwortet,
ob der Bund bei seinem Vorhaben zur Einführung der erweiterten (modernen) Kameralistik bleibt oder nun doch gleich auf die Doppik
umstellt.2 Was würden Sie dem Bund aus wissenschaftlicher Sicht empfehlen: klassische Kameralistik, erweiterte Kameralistik oder
Doppik? Und warum?
Hilgers: Mit der Verabschiedung des Ergebnisses der im Oktober 2006 eingesetzten Projektgruppe
"Modernisierung des Haushalts- und Rechnungswesens (MHR)" in Form eines "Feinkonzepts einer erweiterten Kameralistik" hat sich die
Bundesregierung als zukünftiges Rechnungssystem für ein gemischtes System aus Kameralistik und wesentlichen Elementen der
"staatlichen Doppik" entschieden. Dabei bleibt aufgrund der damit verbundenen Signalwirkung für die Länderebene die Kameralistik auf
Staatsebene auf absehbare Zeit das führende System. Diese "Moderne Kameralistik" soll trotz ihrer kameralen Grundorientierung im
Rahmen eines sehr komplexen Gesamtsystems über die Haushaltsprodukte ergebnis- und ressourcenorientiert ausgerichtet werden. Aus
wissenschaftlicher Sicht wäre mit diesen Ansprüchen verbunden sicherlich das Konzept der Mehrkomponenten bzw. der Integrierten
Verbundrechnung (wie z.B. in Ländern Hamburg oder NRW) der effizientere Ansatz gewesen, lassen sich mit diesem doch sehr valide
aus Vermögens- bzw. Ergebnisrechnung Kosteninformationen systemimmanent ableiten. Unter dem Aspekt der Generationengerechtigkeit
und dem damit verbundenen Anspruch auf eine transparente Darstellung der Verschuldungssituation wäre ebenso eine standardisierte
Vermögensrechnung in Form einer HGB-orientierten Bilanz zu wünschen gewesen. Insbesondere was die impliziten Schulden betrifft
(z.B. Verbindlichkeiten für Pensionsrückstellungen) ist ein Informationsbedarf festzustellen.
HaushaltsSteuerung.de: Ein bedeutendes Ziel der Modernisierung des Haushalts- und Rechnungswesens
war ein Mehr an Transparenz. Muss dieses Ziel aus Sicht des Bürgers nicht vielleicht als gescheitert betrachtet werden, wenn man
sich vor Augen führt, dass in der Gemeinde bzw. im Landkreis des Bürgers meist "doppisch", in seinem Bundesland i.d.R. "kameral"
und im Bund vermutlich "erweitert kameral" gerechnet wird?
Hilgers: In der Tat dienen die unterschiedlichen Rechnungslegungsregimes und die daraus
resultierenden Konsequenzen für die Haushaltssteuerung nicht der Transparenz, der Verständlichkeit und der Nachvollziehbarkeit
für den Bürger. In diesem Kontext sind grundsätzliche im Sinne eines wahren, klaren und partizipativen Bürgerhaushalts neue
Konzepte der Integration und der Zusammenarbeit mit dem Bürger zu überdenken, was sich als zukünftig kardinale Aufgabe für die
eGovernment- bzw. eDemocracy-Forschung artikulieren lässt.
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1 Vgl. http://doppikvergleich.de/uploads/tx_jpdownloads/BS-0154_Berliner_Manifest.pdf, S. 45.
2 Vgl. http://www.cdu.de/doc/pdfc/091024-koalitionsvertrag-cducsu-fdp.pdf.
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