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HaushaltsSteuerung.de » Weblog » Kommunale Kassenkredite

Kommunale Kassenkredite
12. April 2016  |  Autor: Andreas Burth



Die kommunalen Kassenkreditschulden sind eines der häufigsten Themen im Blog von HaushaltsSteuerung.de. Sie wurden und werden immer wieder aus den verschiedensten Blickwinkeln untersucht (siehe z.B. Linkliste am Ende dieses Beitrags). So wurden auf HaushaltsSteuerung.de bereits zahlreiche Ländervergleiche und interkommunale Vergleiche durchgeführt. Dabei sind auch mehrere Kommunen identifiziert worden, die trotz besonders schwieriger Rahmenbedingungen (z.B. geringe Steuereinnahmen, starke Zersiedelung, hoher Bevölkerungsrückgang, soziale Probleme) ohne Kassenkredite auskommen.

Die hohe Zahl der Beiträge zum Thema der Kassenkredite ist im Blog von HaushaltsSteuerung.de bewusst gewählt worden. Denn das Problem der Kassenkredite ist - leider - noch immer eines der drängendsten Handlungsfelder in der kommunalen Familie Deutschlands. Es bedarf daher eines besonderer Augenmerks in Finanzanalysen. Gerade in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland (sowie zunehmend auch in Sachsen-Anhalt) gibt es eine große Anzahl von Kassenkredit-Krisenkommunen.

Ranking zur Höhe der Pro-Kopf-Kassenkredite in den Kern- und Extrahaushalten der Kommunen der Flächenländer zum Stichtag 30.9.2015

Die Fallzahl dieser Krisenkommunen und das allgemeine Kassenkreditniveau scheinen bislang auch nicht wesentlich zu sinken. Seit 2011 sind die Bestände vielmehr tendenziell weiter gestiegen (siehe Abbildung 2). Zwar haben einige Länder (z.B. Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz) Programme zur Teilentschuldung ihrer Kommunen aufgelegt. Die erhoffte Wirkung scheint bei den Kassenkrediten allerdings - trotz aktuell guter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen - noch nicht flächendeckend eingetreten zu sein. Ein Grund ist, dass sich besagte Landesprogramme zunächst auf besondere Krisenkommune fokussiert haben.

Zeitliche Entwicklung der Kassenkredite in der Gesamtheit der Kommunen der Flächenländer unter Abdeckung der Kern- und Extrahaushalte (in Mrd. Euro)



Der Begriff der Kassenkredite

Der Begriff der Kassenkredite (Synonyme: Liquiditätskredite, Kredite zur Liquiditätssicherung, Kassenverstärkungskredite) ist gerade für Laien wenig intuitiv. Klarer wird der Begriff eventuell, wenn man ihn seinem Gegenstück im privaten Bereich gegenüberstellt: Das Pendant zum kommunalen Kassenkredit ist im privaten Bereich der Überziehungskredit (Dispokredit bzw. Kontokorrentkredit).

Im Kern sind Kassenkredite Schulden, deren eigentlicher Zweck die kurzfristige Sicherung der Zahlungsfähigkeit ist. Es handelt sich mithin um eine spezielle Form der Verbindlichkeiten zur Überbrückung des verzögerten Eingangs von Finanzmitteln (z.B. aus Steuern oder Zuweisungen des Landes). Die meiste Zeit des Jahres sollte ihr Bestand daher bei exakt 0,00 Euro liegen. Im Regelfall haben Kassenkredite eine kurze Laufzeit, d.h. sie sind regelmäßig umzuschulden.

Bei Kassenkrediten handelt es sich explizit nicht um Schulden, die zur Fremdfinanzierung von Investitionsobjekten (z.B. neue Brücke, neues Schulgebäude) dienen. Denn für diesen Zweck gibt es eine andere Schuldenart: die sog. Investitionskredite. Die Investitionskredite haben üblicherweise längere Laufzeiten (z.B. fünf Jahre). Kassenkredite werden vielmehr für laufende, konsumtive Ausgaben (z.B. Zahlung von Gehältern) verwendet. Dabei geht es bei Kassenkrediten um die Leistung von Auszahlungen zur Überbrückung eines kurz bevor stehenden Zahlungseingangs. Kassenkredite sind damit anders zu beurteilen als Investitionskredite. Zwar sind niedrige Investitionskreditbestände im kommunalen Bereich tendenziell wünschenswert, allerdings sind Investitionskredite nicht per se schlecht.



Kassenkredite als Instrument zur dauerhaften Finanzierung von Haushaltsdefiziten

Sofern Kassenkredite tatsächlich nur im oben beschriebenen Sinn (d.h. kurzfristige Sicherung der Zahlungsfähigkeit) verwendet werden, ist gegen diese Form der Kurzfristverschuldung nichts einzuwenden. Zwar bestünde grundsätzlich auch die Möglichkeit, statt eines Kassenkredits ausreichendes Finanzvermögen rechtzeitig beiseite zu legen, um Schwankungen im Zahlungseingang auszugleichen - aber in einzelnen Fällen können auch hier kurzfristige Kassenkredite durchaus notwendig werden.

Problematisch werden Kassenkredite allerdings, wenn sie nicht mehr nur zur Liquiditätssicherung, sondern dauerhaft aufgenommen werden. Sie dienen mithin der Dauerfinanzierung laufender Haushaltsdefizite. Ist dies der Fall, so liegt per Definition eine Zweckentfremdung der Verschuldungsform "Kassenkredite" vor. Dauerhafte Kassenkreditschulden sind ein typischer Indikator dafür, dass die betreffende Kommune über ihre Verhältnisse lebt (d.h. sie gibt mehr aus als sie einnimmt). Das Leben über die eigenen Verhältnisse fällt dabei umso größer aus, je höher die Kassenkreditbestände sind. Die angesammelten Lasten werden nachrückenden Generationen aufgebürdet, ohne dass diesen aus der Verschuldung, z.B. in Form investiv geschaffener Vermögenswerte, ein Vorteil erwachsen würde (denn das Geld wurde ja für konsumtive und nicht für investive Zwecke ausgegeben).

Bedenklich ist, dass einige Kommunen mit sehr hohen, dauerhaften Kassenkreditschulden inzwischen dazu über gegangen sind, diese Kassenkredite nicht mehr mit kurzen Laufzeiten aufzunehmen (und regelmäßig umzuschulden), sondern vielmehr langfristige Kassenkreditverträge (z.B. über zehn, 20 oder sogar 30 Jahre abschließen). Die lange Laufzeit dokumentiert geradezu die Zweckentfremdung sowie die Tatsache, dass nachrückende Generationen für den Konsum der heutigen Generation geradestehen müssen. Es gibt gar Kommunen, die in derartigen Verträgen nicht einmal ein Sonderkündigungsrecht vereinbart haben (d.h. bei vorzeitiger Tilgungsfähigkeit müssten Vorfälligkeitsentschädigungen gezahlt werden).

Auf den ersten Blick scheinen derartige langfristige Kassenkredite plausibel, denn die Zinsen sind aktuell in der Tat sehr niedrig und könnten jederzeit wieder steigen - sie können aber auch weiterhin so niedrig bleiben. Werden Kassenkredite mit kurzen Laufzeiten aufgenommen, so müssen sie regelmäßig umgeschuldet werden und unterliegen einem hohen Zinsänderungsrisiko. Ein Problem an diesen langfristigen Kassenkreditverträgen ist jedoch, dass sie i.d.R. höher verzinst sind als kurzfristige Kassenkredite.

Im Bereich der Zinssätze sind Kassenkredite zugegebenermaßen aktuell wenig intuitiv: Während Privatpersonen für Überziehungskredite auf ihrem Girokonto z.B. Zinsen von 10 Prozent entrichten müssen, sind die Zinssätze für die Kommunen sehr viel niedriger. Zinssätze von unter einem Prozent sind für kurzfristige Kassenkredite nicht ungewöhnlich. Ein Grund hierfür ist, dass die Kreditgeber nicht glauben, dass die Kommunen kurzfristig (z.B. binnen der nächsten zwei Wochen) pleitegehen. Da die Rückzahlung somit quasi sicher ist, müssen die Kommunen kaum Zinsen zahlen. Anders sieht die Situation bei langfristigen Kassenkrediten aus: Zwar wird die Insolvenzwahrscheinlichkeit auch hier als eher gering eingestuft (u.a. auch wegen der vermuteten Einstandspflicht der Länder für ihre Kommunen). Allerdings kalkulieren die Gläubiger durchaus Unsicherheitsfaktoren (z.B. Möglichkeit eines wieder steigenden Zinsniveaus) ein, was in höheren Zinssätzen für langfristige Kassenkredite resultiert.

Welche der beiden Varianten (Kassenkredite mit kurzer oder langer Laufzeit) aus dem Blickwinkel der Zinsausgaben letztlich günstiger ist, ist aus heutiger Sicht reine Spekulation. Langfristige Kassenkredite sind heute jedoch zumeist teurer. Sie sind nur eventuell in der langen Frist günstiger. Zinsersparnisse können über langfristige Kassenkredite nur realisiert werden, wenn das Zinsniveau steigt. Bleibt es weiterhin niedrig oder sinkt es eventuell sogar nochmals leicht, so zahlt die Kommune für ihre langfristigen Kassenkredite mehr Zinsen als sie bei kurzen Laufzeiten hätte zahlen müssen. Dies ist letztlich nichts anderes als eine Zinssatzspekulation zulasten des Steuerzahlers. Spekulationsgeschäfte sind keine kommunale Aufgabe.

Ein psychologischer Nachteil langfristiger Kassenkredite ist auch, dass die Kassenkredite durch die wegfallende, regelmäßige Umschuldungsnotwendigkeit etwas (wenn auch nicht vollständig) aus dem Blickwinkel kommunaler Entscheidungsträger rücken (frei nach dem Motto "aus den Augen, aus dem Sinn").

Ein weiteres Problem von Kassenkrediten mit langer Laufzeit ist, dass von ihnen das Signal der "Nicht-Konsolidierbarkeit des Haushalts auf absehbare Zeit" ausgehen kann. So kann es (wenn überhaupt) nur Sinn machen, langfristige Kassenkredite aufzunehmen, wenn man davon ausgeht, dass sie in den kommenden Jahren ohnehin nicht getilgt werden können. Diese Herangehensweise ist jedoch höchst problematisch. Der aus der (etwaigen) Zinsersparnis gezogene Nutzen langfristiger Kassenkredite kann nicht einmal in Ansätzen denjenigen Schaden aufwiegen, den das damit verbundene Signal der "Nicht-Konsolidierbarkeit auf absehbare Zeit" verursacht. Langfristige Kassenkredite öffnen dem kommunalen Kassenkreditmissbrauch endgültig Tür und Tor. Die Entscheidungsträger können in einer psychologischen Vergeblichkeitsfalle landen, in der die (eigentlich mögliche) Konsolidierung des Haushalts gar nicht erst ernsthaft bzw. im notwendigen Umfang angegangen wird, da sie fälschlicherweise als nicht realisierbar eingestuft wird.

Letztlich bedeutet eine dauerhafte Kassenkreditfinanzierung (z.B. mit einer Laufzeit von zehn oder 20 Jahren), dass die betreffende Kommune sich nicht in der Lage sieht, auf absehbare Zeit ihre Finanzen vollständig in den Griff zu bekommen. Diese Denkweise ist jedoch schon im Ansatz falsch, denn jeder Kommunalhaushalt ist auf absehbare Zeit konsolidierbar - und muss es auch sein. Wäre ein Kommunalhaushalt tatsächlich nicht mehr aus eigener Kraft konsolidierbar, müsste das Land unverzüglich einen Beauftragten (Staatskommissar) einsetzen. Die Kommunen haben aber selbst in nicht konsolidierbar erscheinenden Fällen noch sehr viele Stellschrauben zur Verfügung, die in ihrer Summe den stetigen Haushaltsausgleich (bzw. Haushaltsüberschüsse) gelingen lassen und damit einen Abbau der Kassenkredite ermöglichen. Die Kommunen haben eine enorme Kraft, die mancherorts aufgrund jahrelanger Defizit- und Schuldenpolitik aber in Vergessenheit geraten ist.

Auf der Suche nach Konsolidierungsideen kann den Kommunen, die sich hoch mit Kassenkrediten verschuldet haben, ein Blick in die Haushaltssicherungskonzepte anderer Kommunen helfen. Eine Linksammlung zu Beispielen solcher Haushaltssicherungskonzepte finden Sie auf der unten verlinken Seite.

» Linksammlung zu kommunalen Haushaltssicherungskonzepten
    Hrsg.: HaushaltsSteuerung.de



Wann ist das Niveau der Kassenkreditschulden "hoch"?

Eine wichtige Frage im Kontext der Kassenkreditverschuldung ist, ab wann von hohen Kassenkreditniveaus gesprochen werden kann. Die exakte Beantwortung dieser Frage ist keineswegs trivial. Wer z.B. liest "Die Kassenkredite meiner Stadt liegen bei 1.500 Euro je Einwohner", der kann dies zunächst kaum einordnen. Ist das viel? Ist das wenig? Muss ich mir als Bürger/Steuerzahler ernsthafte Sorgen machen?

Auf HaushaltsSteuerung.de wird aus Vereinfachungsgründen häufig folgende, grobe Faustformel genutzt:
  • Hohe Kassenkreditschulden: 500 bis 999 Euro je Einwohner
  • Sehr hohe Kassenkreditschulden: ab 1.000 Euro je Einwohner
Vorstehende Gruppierung der Kassenkreditniveaus ist in der Tat primär eine Faustformel, die naturgemäß gewisse Unschärfen aufweist. Abhängig vom lokalen Einnahmeniveau können abweichende Pro-Kopf-Bestände als hoch, sehr hoch bzw. extrem hoch kategorisiert werden. Die Faustformel erleichtert gleichwohl die Interpretation kommunaler Kassenkreditniveaus.

Grundsätzlich sei an dieser Stelle aber auch darauf hingewiesen, dass Kassenkreditbestände selbst dann schon "zu hoch" sein können, wenn sie bei 100 oder 200 Euro je Einwohner liegen. "Zu hoch" ist letztlich jeder Kassenkreditbestand, der nicht kurzfristigen, sondern dauerhaften Charakter hat. Insofern ist obige Faustformel im Zweifel eher zu nachsichtig als zu streng.

Zumeist ungeeignet zur Beurteilung der Kassenkredithöhe sind absolute Werte (z.B. 150 Mio. Euro). Dies gilt v.a. für interkommunale Vergleiche. Während 150 Mio. Euro z.B. für die kreisfreie Stadt München mit rund 1.430.000 Einwohnern einen eher "geringen" Betrag darstellen würden (ca. 105 Euro je Einwohner), wären dieselben 150 Mio. Euro für die ebenfalls kreisfreie Stadt Suhl mit rund 36.000 Einwohnern eine gewaltige Summe (ca. 4.150 Euro je Einwohner). Insofern ist zu empfehlen, mit Pro-Kopf-Werten (statt mit absoluten Werten) zu arbeiten, um Einwohnerunterschiede aus interkommunalen Vergleichen zu eliminieren.

Eine Limitation in der Aussagekraft von Pro-Kopf-Kassenkreditbeständen besteht darin, dass sie - wie bereits erwähnt - Unterschiede im Einnahmeniveau ausblenden. Finanzstärkere Kommunen können auch höhere Schuldenniveaus tragen (wenngleich gerade diese Kommunen aufgrund ihrer Finanzkraft eigentlich erst recht ohne Kassenkredite auskommen könnten, da sie zur Liquiditätssicherung ausreichend Finanzvermögen beiseite legen können). Es bietet sich an, die Kassenkreditschulden ergänzend auch den (ordentlichen) Einzahlungen gegenüberzustellen.

Eine solche Gegenüberstellung wird in den beiden folgenden Abbildungen vorgenommen. Dabei liegt der Fokus auf denjenigen 20 kreisfreien Städten, die sich zum Stichtag 31.12.2014 die höchsten Pro-Kopf-Kassenkredite aufgebürdet haben. Die 20 Städte zählen in ihrer Summe 3,8 Mio. Einwohner und haben sich zum 31.12.2014 im Kernhaushalt mit Kassenkrediten von insgesamt rund 15,8 Mrd. Euro verschuldet. Allein die absoluten Kassenkredite der Stadt Essen sind höher als die Kassenkredite der insgesamt ca. 4.800 Kommunen in den Ländern Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen zusammen (genau genommen sind sie sogar mehr als doppelt so hoch). Höhere absolute Kassenkreditschulden als die vier Länder haben ebenso die Städte Dortmund, Duisburg, Hagen, Mönchengladbach, Oberhausen und Wuppertal.

Abbildung 3 stellt für die 20 Städte die Pro-Kopf-Werte der Kassenkredite zum 31.12.2014 (= Kassenkredite beim öffentlichen Bereich + Kassenkredite beim nicht-öffentlichen Bereich) und der ordentlichen Einzahlungen im Jahr 2014 (= Einzahlungen der laufenden Verwaltung + Finanzeinzahlungen) dar. Betrachtet wird aus Gründen der Datenverfügbarkeit jeweils nur der Kernhaushalt. Bereits anhand der Pro-Kopf-Werte wird ein merkliches Missverhältnis von Kassenkrediten und ordentlichen Einzahlungen deutlich.

Ranking über die 20 kreisfreien Städte der Flächenländer mit den höchsten Pro-Kopf-Kassenkreditschulden im Kernhaushalt zum 31.12.2014, inkl. Daten zur Höhe der ordentlichen Pro-Kopf-Einzahlungen im Kernhaushalt im Jahr 2014 (in Euro je Einwohner)

Untenstehende Abbildung 4 bildet für dieselben 20 Städte das Verhältnis beider Größen ab (d.h. Kassenkredite in Prozent der ordentlichen Einzahlungen). Die Kennzahl verdeutlicht, dass z.B. die Stadt Pirmasens die gesamten ordentlichen Einzahlungen von fast drei Jahren aufwenden müsste, um ihre Kassenkredite in voller Höhe zu tilgen. In diesem fiktiven Fall könnte die Stadt allerdings für fast drei Jahre keine ihrer eigentlichen Aufgaben (z.B. Kinderbetreuung, Kulturangebot, Feuerwehr) wahrnehmen.

Vergleich zur Kennzahl 'Kassenkredite in Prozent der ordentlichen Einzahlungen' für die 20 kreisfreien Städte der Flächenländer mit den höchsten Pro-Kopf-Kassenkrediten im Kernhaushalt zum 31.12.2014

Vorstehende Abbildungen betrachten nur 20 kreisfreie Städte, um nicht mit zu vielen Abbildungen arbeiten zu müssen, was wiederum die Übersichtlichkeit des Beitrags verringern würde. Nichtsdestotrotz sei angemerkt, dass hohe Kassenkreditschulden ebenso im kreisangehörigen Raum anzutreffen sind. Ein Extrembeispiel aus dem Krisenland Saarland ist die Gemeinde Gersheim. Bei ordentlichen Einzahlungen im Jahr 2014 von 1.454 Euro je Einwohner kommt die Gemeinde Gersheim zum 31.12.2014 auf Kassenkredite von 4.786 Euro je Einwohner. Die Kassenkredite liegen damit bei gewaltigen 329,2 Prozent der ordentlichen Einzahlungen. Die Gemeinde wäre ihre Kassenkredite selbst dann noch nicht vollständig los, wenn sie drei Jahre lang ihre kompletten Auszahlungen einstellen würde und alle Einzahlungen in die Tilgung der Kassenkredite stecken würde.



Was, wenn der private Sektor derartige Schulden aufnehmen würde?

Zur Einordnung des Volumens kommunaler Kassenkredite hilft eventuell ein Vergleich mit dem Privatbereich. Zwar ist bei Vergleichen von Kommunen mit Privatpersonen bzw. privaten Unternehmen darauf hinzuweisen, dass der Staat (hier in Form der Kommunen) zweifelsohne andere Strukturen hat und sich über Steuern "jederzeit" Geld von seinen Bürgern holen könnte. Der Staat profitiert in diesem Sinne von der Kreditwürdigkeit seiner Bürger. Die Kommunen profitieren ihrerseits auch von der Kreditwürdigkeit des Landes (aufgrund der vermuteten Einstandspflicht des Landes). Aber zumindest lassen sich die Dimensionen durch den vereinfachenden Vergleich mit dem privaten Lebensumfeld deutlicher machen.

Wie bereits erwähnt, stellen im privaten Bereich die Überziehungskredite (Dispokredit bei Privatpersonen bzw. Kontokorrentkredit bei Unternehmen) das Pendant zu den kommunalen Kassenkrediten dar. Für Privatpersonen kann das Limit für die Dispokredite individuell mit der Bank vereinbart werden. Es liegt z.B. häufiger bei dem Dreifachen der monatlichen Zahlungseingänge. Das Dreifache der monatlichen Zahlungseingänge entspricht mithin einem Viertel der jährlichen Zahlungseingänge. Den Großteil der Zahlungseingänge bildet im Regelfall das Netto-Gehalt. Hinzu können weitere Einnahmen kommen, wie z.B. Einnahmen aus Zinsen und Dividenden. Die jährlichen Zahlungseingänge sind damit das Gegenstück zu den in obigen Abbildungen 3 und 4 dargestellten ordentlichen Einzahlungen der Kommunen. Um die Dimensionen kommunaler Kassenkreditverschuldung verständlicher zu machen, soll nachfolgendes Beispiel helfen.

Beispiel für eine Privatperson:

Die betrachtete Privatperson habe ein Netto-Jahreseinkommen von 50.000 Euro. Mit seiner Bank wurde ein Dispokredit-Limit des dreifachen Netto-Monatseinkommens (bzw. einem Viertel des Netto-Jahreseinkommens) vereinbart. Dies entspricht mithin 12.500 Euro. Eine Überschreitung dieses Limits ist für die Person entweder nicht möglich oder zieht besondere Strafzinsen nach sich.

Hätte diese Privatperson nun konsumtive Dispokredite in der Dimension der Stadt Pirmasens (d.h. 278,8 Prozent des Netto-Jahreseinkommens), so hätte sie ihr Limit mit einem Dispokredit von 139.400 Euro um mehr als das Elffache überschritten. Um die Dispokredite zu tilgen, müsste die Person etwa 33,5 Monate keinerlei sonstige Ausgaben tätigen (z.B. für Essen/Trinken, Strom, Miete, Versicherungen, Internet/Telefonie, Urlaub usw.).

Im Falle der Größenordnung der Stadt Essen (d.h. 105,9 Prozent des Netto-Jahreseinkommens) wären es immer noch Dispokredite in Höhe von 52.950 Euro (mehr als vierfache Überschreitung des Limits). Sowohl im Pirmasens-Fall als auch im Essen-Fall müsste die Person wahrscheinlich Privatinsolvenz anmelden.

Kassenkredite bei Privatpersonen: Dispokredite in der Dimension von Primasens und Essen


Der private Sektor ist neben Privatpersonen auch durch privatwirtschaftliche Unternehmen gekennzeichnet. Bei ihnen ist das Pendant zum Kassenkredit der Kontokorrentkredit. Auch hier soll im Folgenden ein kurzes Beispiel zur Visualisierung der Problemlage helfen.

Beispiel für ein privates Unternehmen:

Das private Unternehmen im Beispiel habe einen Jahresumsatz von 100.000.000 Euro. Die Berechnung des Limits für den Kontokorrentkredit ist bei privaten Unternehmen i.d.R. komplexer als bei Privatpersonen. Er hängt stark von der Bonität des Unternehmens ab. Sofern die Unternehmer Vollhafter sind (z.B. bei einer OHG), spielt u.a. auch deren Privatvermögen bei der Bonitätsbeurteilung eine Rolle.

Würde das private Unternehmen nun so wirtschaften, wie es die Stadt Oberhausen (d.h. 253,7 Prozent des Jahresumsatzes) tut, so hätte sie für konsumtive Zwecke aufgenommene Kontokorrentkredite von 253.700.000 Euro zu tragen. Um die Kontokorrentkredite vollständig zurückzuführen, müsste das Unternehmen über einen Zeitraum von rund 2,5 Jahren alle sonstigen Auszahlungen einstellen (z.B. an Mitarbeiter, an Lieferanten etc.). Das wäre allerdings schon deshalb nicht möglich, da ohne Auszahlungen i.d.R. auch keine Einzahlungen erwirtschaftet werden können.

Sofern sich ihr unternehmerisches Handeln ein Vorbild an der Stadt Mainz (d.h. 132,0 Prozent des Jahresumsatzes) nehmen würde, läge der Kontokorrentkreditbestand immerhin noch bei 132.000.000 Euro. Wie beschrieben kommt es bei der Beurteilung der Zahlungsfähigkeit von Unternehmen auf viele Faktoren an, aber wahrscheinlich wäre das betreffende Unternehmen bei derartigen Kontokorrentkrediten (unabhängig davon, ob es nun Oberhausen- oder Mainz-Dimensionen sind) längst ein Fall für den Insolvenzverwalter.

Kassenkredite bei privaten Unternehmen: Kontokorrentkredite in der Dimension von Oberhausen und Mainz


Kommunen sind, wie bereits erwähnt, anders strukturiert als Privatpersonen und private Unternehmen. Insofern droht (u.a. aufgrund der vermuteten Einstandspflicht der Länder für ihre Kommunen) derzeit wahrscheinlich keine Insolvenz einer deutschen Kommune. Dennoch wird durch den Vergleich offenkundig, dass es keinesfalls so weitergehen kann wie bisher. Es bedarf in den Krisenkommunen eines strikten Konsolidierungskurses, der auch von der Kommunalaufsicht mit Nachdruck einzufordern ist. Dass dabei auch einige wünschenswerte Leistungen gestrichen und/oder Steuern erhöht werden müssen, liegt in der Natur der Sache: Kommunen, die mehrere Jahre über ihre Verhältnisse gelebt haben, müssen im Gegenzug über mehrere Jahre unter ihren Verhältnissen leben (d.h. Haushaltsüberschüsse erwirtschaften), um im langfristigen Horizont einen Ausgleich herzustellen. Werden keine Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet, bleiben die Lasten an nachrückenden Generationen hängen. Diese späteren Generationen haben, wie beschrieben, jedoch keinen Vorteil mehr aus der Kassenkreditverschuldung, da durch sie keinerlei investive Vermögenswerte (z.B. Brücke, Schulgebäude) geschaffen worden sind. Vorteile aus den Kassenkreditschulden haben nur diejenigen Generationen gezogen, die sie aufgenommen und für konsumtive Zwecke verwendet haben. Dies ist im Regelfall v.a. die heutige Generation. Die heutige Generation sollte ihre Kassenkredite daher auch selbst tilgen im vollem Umfang.

So wie es im privaten Bereich der Normalfall ist, keine oder nur geringe Überziehungskredite aufzuweisen, so muss dies auch im kommunalen Bereich zu einer Selbstverständlichkeit werden. In einigen Ländern, wie z.B. Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Thüringen, ist dies bereits seit Jahren gelebte Realität. Die Länder zeigen zugleich, dass Kassenkreditfreiheit grundsätzlich möglich ist. Und auch in Krisenländern, wie z.B. Hessen und Nordrhein-Westfalen, gibt es einige Kommunen, die sogar unter sehr schwierigen Rahmenbedingungen (z.B. starke Bevölkerungsrückgänge, hoher Zersiedelungsgrad, geringe Steuereinnahmen, soziale Probleme) ohne Kassenkredite auskommen (siehe nachfolgende Links). In Fragen der Kassenkreditverschuldung gilt damit der altbekannte Grundsatz: Wer will, der kann.

» Stark zersiedelte Gemeinden in Hessen ohne Kassenkredite, Blog-Eintrag vom
    20. Oktober 2015

    Autor: Andreas Burth

» Gemeinden in Nordrhein-Westfalen ohne Kassenkredite trotz eines starken
    Bevölkerungsrückgangs, Blog-Eintrag vom 11. September 2015

    Autor: Andreas Burth

» Kreisangehörige NRW-Gemeinden ohne Kassenkredite trotz schwieriger
    Rahmenbedingungen im Sozialbereich, Blog-Eintrag vom 8. September 2015

    Autor: Andreas Burth

» Kassenkreditfreie Gemeinden in Nordrhein-Westfalen mit geringer
    Steuereinnahmekraft, Blog-Eintrag vom 6. September 2015

    Autor: Andreas Burth

» Steuerschwache Gemeinden in Hessen ohne Kassenkreditschulden, Blog-Eintrag vom
    4. September 2015

    Autor: Andreas Burth



Fazit

In Anbetracht der zum Teil gewaltigen Kassenkreditvolumina überrascht es, dass in vielen Krisenkommunen kaum ein Bürger oder Politiker mehr vor der Kassenkreditlast wirklich erschrickt - selbst bei Beständen von z.B. 3.000 Euro je Einwohner. Kassenkredite sind dort zum kommunalen Alltag geworden. Mancherorts hat man sich offenbar mit der Situation abgefunden.

Bewusst oder unterbewusst scheinen viele Krisenkommunen darauf zu hoffen, dass eines Tages ein (wie auch immer geartetes) Wunder geschieht - oder zumindest ein "Retter in der Not" (in Form des Landes oder des Bundes) auftaucht, der für sie die haushaltspolitischen Sünden der Vergangenheit trägt und sie ihrer Schulden entledigt. Das Problem ist nur: Die Haushaltsplanung nach dem Geschehen von Wundern auszureichen, erscheint - vorsichtig formuliert - doch sehr gewagt. Und Bund und Länder als mögliche "Retter" stehen selbst kaum besser da. Bund und Länder sind i.d.R. sogar noch höher verschuldet als die Kommunen (siehe Link). Sie haben selbst genug damit zu tun, ihre eigene Verschuldung dauerhaft in den Griff zu bekommen.

» Vergleich der Schulden von Bund, Ländern und Kommunen, Blog-Eintrag vom
    22. Juni 2015

    Autor: Andreas Burth

Ein weiteres Problem des "Retteransatzes" ist, dass selbiger letztlich bedeutet, dass solide wirtschaftende Kommunen (bzw. deren Bürger) für die Leistungen derjenigen Kommunen aufkommen sollen, die über ihre Verhältnisse leben. Zwar ist innerdeutsche Solidarität zweifelsohne wichtig und in einzelnen Fällen auch notwendig. Den weit überwiegenden Teil des Weges müssen die Krisenkommunen aber selbst gehen. Mit dem Recht auf kommunale Selbstverwaltung geht immer auch eine Pflicht zur Selbstverantwortung einher. Es handelt sich um zwei untrennbar miteinander verbundene Seiten einer Medaille. Gerade bei weniger konsolidierungswilligen Kommunen wird es dabei auch auf das entschlossene Eingreifen der Kommunalaufsicht ankommen.



Weitere Informationen

Wie bereits erwähnt sind in den letzten Wochen und Monaten zahlreiche Beiträge zu den kommunalen Kassenkrediten im Blog von HaushaltsSteuerung.de publiziert worden. Im Folgenden finden Sie eine Liste jüngerer Beiträge.

» Pro-Kopf-Schulden der kreisangehörigen Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen
    mit 20.000 bis 49.999 Einwohnern, Blog-Eintrag vom 11. April 2016

    Autor: Andreas Burth

» Schulden-Ranking der 24 Landkreise in Rheinland-Pfalz, Blog-Eintrag vom
    10. April 2016

    Autor: Andreas Burth

» Pro-Kopf-Schulden der Städte in Baden-Württemberg mit mindestens 20.000
    Einwohnern, Blog-Eintrag vom 8. April 2016

    Autor: Andreas Burth

» Vergleich der Pro-Kopf-Schulden der kreisangehörigen NRW-Städte mit mindestens
    50.000 Einwohnern, Blog-Eintrag vom 6. April 2016

    Autor: Andreas Burth

» Kassenkredite der kreisangehörigen Städte und Gemeinden in Schleswig-Holstein
    mit mindestens 10.000 Einwohnern, Blog-Eintrag vom 5. April 2016

    Autor: Andreas Burth

» Kassenkredite der kreisangehörigen Städte und Gemeinden in Thüringen mit mindestens
    5.000 Einwohnern, Blog-Eintrag vom 5. April 2016

    Autor: Andreas Burth

» Hessische Kommunen mit den höchsten/niedrigsten Kassenkreditschulden, Blog-Eintrag
    vom 3. April 2016

    Autor: Andreas Burth

» Pro-Kopf-Schulden der Städte und Gemeinden im Saarland zum 31.12.2014,
    Blog-Eintrag vom 2. April 2016

    Autor: Andreas Burth

» Pro-Kopf-Verschuldung der kreisfreien Städte Deutschlands, Blog-Eintrag vom
    30. März 2016

    Autor: Andreas Burth

» Kassenkredite/Liquiditätskredite der Städte und Gemeinden in Niedersachsen mit
    mindestens 10.000 Einwohnern, Blog-Eintrag vom 28. März 2016

    Autor: Andreas Burth

» Kassenkredite der Städte und Gemeinden in Sachsen-Anhalt mit mindestens 5.000
    Einwohnern, Blog-Eintrag vom 27. März 2016

    Autor: Andreas Burth

» Kassenkredite der kreisfreien Städte in Deutschland, Blog-Eintrag vom 24. März 2016
    Autor: Andreas Burth

» Kreditmarktschulden und Kassenkredite in den Kern- und Extrahaushalten von Ländern
    und Kommunen in Deutschland zum 30.9.2015, Blog-Eintrag vom 18. Februar 2016

    Autor: Andreas Burth





©  Andreas Burth, Marc Gnädinger