Kontakt  |  Sitemap  |  Impressum/Datenschutz
Startseite
Weblog
Themen
Lexikon
Akteure
Literatur
Über HaushaltsSteuerung.de
  Weblog
  » Aktuelle Blog-Einträge
  » Weblog-Archiv
  » Themen
  » Karikaturen
  » Autoren
  » RSS-Feed zum Blog
HaushaltsSteuerung.de » Weblog » Neue Eurostat-Zahlen zu den kommunalen Investitionen leider so widersprüchlich wie in den Vorjahren

Neue Eurostat-Zahlen zu den kommunalen Investitionen leider so widersprüchlich wie in den Vorjahren
24. April 2017  |  Autor: Andreas Burth



Die kommunalen Investitionen sind ein politisch hoch relevantes Thema. Die Aufrechterhaltung einer gut ausgebauten Infrastruktur ist ein bedeutender Standortfaktor für Unternehmen. Gleichsam legen Bürger einen hohen Wert auf eine funktionierende Infrastruktur. Um die Entwicklung des Zustands der kommunalen Infrastruktur auf aggregierter Ebene zu beurteilen, werden u.a. häufig Daten von Eurostat als Indikator herangezogen.

Der Datensatz von Eurostat enthält Zahlen zu den Bruttoanlageinvestitionen und zu den Abschreibungen. Die Bruttoanlageinvestitionen bezeichnen den Erwerb abzüglich der Veräußerung von Anlagegütern zuzüglich gewisser Werterhöhungen an nichtproduzierten Vermögensgütern durch produktive Tätigkeiten. Die Abschreibungen sollen die wertmäßige Abnutzung der Anlagegüter widerspiegeln. Bei den Nutzungsdauern wird im Kontext der Berechnung der Abschreibungen von einer "normalen wirtschaftlichen Nutzungsdauer der einzelnen Güterarten" ausgegangen. Die Abschreibungen werden von Eurostat nicht erhoben, sondern statistisch geschätzt. Die kommunalen Anlagegüter stellen ein riesiges Sammelsurium verschiedenster Vermögensgegenstände dar (z.B. Gebäude, Wege, Straßen, Brücken, Schienenstrecken, Denkmäler, Tunnel, Kraftfahrzeuge, Schiffe, Häfen, Dämme, Sport-/Freizeitanlagen, Stromnetze, Wasser-/Abwassernetze usw.).

Die Differenz aus Bruttoanlageinvestitionen und Abschreibungen sind die Nettoanlageinvestitionen. Sind sie positiv, steigt der Wert der kommunalen Anlagegüter. Im umgekehrten Fall sinkt der Wert der Anlagegüter. Negative Nettoanlageinvestitionen werden von einigen Autoren z.B. übersetzt mit "die kommunale Infrastruktur verfällt" bzw. "die Kommunen investieren zu wenig".

Heute hat Eurostat neue Zahlen zu den Investitionen der deutschen Kommunen veröffentlicht. Sie decken die Jahre bis 2016 ab. Der Datensatz wird im vorliegenden Beitrag herangezogen und dabei auch hinsichtlich seiner Zitierfähigkeit hinterfragt.

Nachstehende Abbildung zeigt die Entwicklung der kommunalen Bruttoanlageinvestitionen und Abschreibungen in den Jahren 1995 bis 2016. Demnach sind die Abschreibungen seit 1997/98 in jedem Vorjahresvergleich gestiegen. 2016 erreichen sie 29,3 Mrd. Euro. 2016 belaufen sich die Bruttoanlageinvestitionen auf 23,5 Mrd. Euro. Die Bruttoanlageinvestitionen liegen damit nominal (d.h. ohne Preis-/Inflationsbereinigung) höher als in den Vorjahren. Die Bruttoanlageinvestitionen liegen seit 2002 unter den Abschreibungen. Die Nettoanlageinvestitionen der Jahre 2002 bis 2016 summieren sich auf -67,7 Mrd. Euro.

Entwicklung der kommunalen Bruttoanlageinvestitionen und Abschreibungen von 1995 bis 2016 nach Eurostat-Definition (in Mrd. Euro)

Leider sind obige Zahlen so eklatant widersprüchlich wie in den Vorjahren (siehe auch Link am Ende dieses Beitrags). Die Abschreibungen liegen weiterhin sehr deutlich über den Bruttoanlageinvestitionen (d.h. der Wert der kommunalen Anlagegüter nimmt ab). Im Jahr 2016 übersteigen die Abschreibungen die Bruttoanlageinvestitionen um 5,79 Mrd. Euro bzw. 24,7 Prozent. Im Vorjahr lag die Differenz sogar bei 6,26 Mrd. Euro bzw. 27,9 Prozent. Kumuliert belaufen sich die negativen Nettoanlageinvestitionen in den Jahren 2002 bis 2016 auf beträchtliche 67,7 Mrd. Euro. Zugleich stiegen aber die Abschreibungen in diesem Zeitraum immer weiter an. Im Vergleich der Jahre 2002 und 2016 nahmen die jährlichen Abschreibungen um 36,4 Prozent zu. Seit 1997/98 sind die Abschreibungen in keinem einzigen Vorjahresvergleich gesunken. Tatsächlich müssten die Abschreibungen bei fallendem Wert der kommunalen Anlagegüter (d.h. bei negativen Nettoanlageinvestitionen) aber ebenfalls sinken. Denn es gibt ja weniger, was abzuschreiben wäre.

Ein leicht spöttisches Zitat von Jean-Claude Riber (ein deutsch-französischer Opernregisseur und Intendant) lautet:
"Statistiken sind wie ein spanisches Gasthaus. Jeder findet darin das, was er sucht."

Die Eurostat-Daten zu den kommunalen Investitionen sind derzeit leider der Inbegriff dieses Zitats. Wer die Entwicklung der kommunalen Anlagegüter von der Entwicklung der Abschreibungen ableitet, sieht eine starke Zunahme der Anlagegüter (d.h. die deutschen Kommunen investieren seit vielen Jahren sehr intensiv). Wer die Entwicklung der Anlagegüter an der Entwicklung der negativen Nettoanlageinvestitionen festmacht, sieht eine starke Abnahme der Anlagegüter (d.h. die Kommunen investieren nur wenig). Die beiden Extreme können nicht zugleich richtig sein. Die Eurostat-Daten suggerieren aber eben das.

Abschreibungen bestimmen sich aus dem Wert der Anlagegüter und deren Nutzungsdauer. Insofern könnten auch Anpassungen bei der Nutzungsdauer temporär zu steigenden Abschreibungen bei sinkendem Anlagevermögen führen. Um obigen Verlauf der Abschreibungen zu erzielen, müssten die Nutzungsdauern aber seit etwas mehr als einem Jahrzehnt reduziert worden sein - und das jedes Jahr aufs Neue. Um eine Steigerung der jährlichen Abschreibungen um 36,4 Prozent bei um 67,7 Mrd. Euro gesunkenem Anlagegüterwert zu erreichen, müssten die Nutzungsdauer-Anpassungen enorm sein. Mathematisch wäre es zweifelsohne möglich. Sachlich erscheint mir dies jedoch abwegig (v.a. in dieser Dimension). Denn wieso sollten Anlagegüter, die in den letzten Jahren gebaut wurden, so extrem viel schlechter sein als Anlagegüter, die früher gebaut wurden? Insbesondere könnte es genauso gut auch umgekehrt sein - was jedoch für längere Nutzungsdauern und damit für geringere/fallende Abschreibungen spräche.

Ich hatte mich in dieser Angelegenheit bereits per E-Mail an Eurostat gewendet. Bis heute ist mir keine Erklärung für den Widerspruch aus steigenden Abschreibungen bei negativen Nettoanlageinvestitionen zugegangen - trotz nochmaliger Nachfrage. Man scheint also selbst bei Eurostat (noch) nicht zu wissen, wieso das Datenmaterial so widersprüchlich ist. Dies legt aus meiner Sicht die Vermutung nahe, dass die Eurostat-Methodik zur Schätzung der Abschreibungen im Falle der deutschen Kommunen zu fehlerhaften Ergebnissen führt.

Um den Gründen für die widersprüchlichen Zahlen näher zu kommen, könnte man einen Blick auf die Entwicklung des Werts der kommunalen Anlagegüter werfen. Dieser Wert wird offenbar im Hintergrund von Eurostat bestimmt und dient der Berechnung der Abschreibungen. Auf Anfrage wollte Eurostat die Zahlen zum Wert der Anlagegüter indes nicht bereitstellen. Dieser Weg zur Klärung des Sachverhalts ist somit versperrt.

Letztlich muss ich daher leider feststellen, dass die Eurostat-Zahlen zu den Abschreibungen und Nettoanlageinvestitionen der deutschen Kommunen aktuell nicht zitierwürdig sind. Solange es keine plausible, belastbare Erklärung für den beschriebenen Widerspruch gibt (oder die fehlerhaften Zahlen korrigiert werden), sollten die Zahlen meiner Ansicht nach in der Diskussion um die kommunale Investitionstätigkeit nicht verwendet werden.

Für weitergehende Informationen zum Thema dieses Beitrags sei auf nachfolgenden Link verwiesen.

» Zur Aussagekraft der Eurostat-Daten zu den Investitionen der Kommunen in Deutschland,
    Blog-Eintrag vom 27. Oktober 2016

    Autor: Andreas Burth





©  Andreas Burth, Marc Gnädinger