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Zur Aussagekraft der Eurostat-Daten zu den Investitionen der Kommunen in Deutschland
Zur Aussagekraft der Eurostat-Daten zu den Investitionen der Kommunen in Deutschland
27. Oktober 2016 |
Autor: Andreas Burth
Eurostat publiziert regelmäßig Daten zur
Investitionstätigkeit
der 28 EU-Mitglieder. Für die einzelnen EU-Mitglieder
sind auch Daten zu den verschiedenen Teilsektoren (d.h. Bund/Zentralstaat, Länder, Kommunen, Sozialversicherung) abrufbar.
Das Zahlenwerk wird in verschiedenen Publikationen herangezogen, um auf einen (mutmaßlichen) Investitionsstau in Deutschland
hinzuweisen. Im vorliegenden Beitrag wird der Eurostat-Datensatz für die Jahre 1995 bis 2015 untersucht. Der Fokus wird
auf die Investitionstätigkeit der Kommunen (d.h. der Gemeinden und Gemeindeverbände) in Deutschland gelegt.
Überblick:
- Allgemeine Vorbemerkungen zum Datenangebot von Eurostat
- Entwicklung der kommunalen Investitionen gemäß Eurostat
- Bruttoanlageinvestitionen
- Abschreibungen
- Fazit und Ausblick
- Weitere Informationen
Allgemeine Vorbemerkungen zum Datenangebot von Eurostat
Das Datenangebot von Eurostat zu den Investitionen deckt zum einen die Bruttoanlageinvestitionen (ESVG-Code: P.51G) und die
Abschreibungen (ESVG-Code: P.51C) ab. Zum anderen werden ergänzend die Vorratsveränderungen (ESVG-Code: P.52) und der
Nettozugang an Wertsachen (ESVG-Code: P.53) statistisch nachgewiesen. Die Vorratsveränderungen und der Nettozugang an
Wertsachen fallen wertmäßig jedoch vergleichsweise gering aus: Zusammen belief sich ihr Volumen im Jahr 2015 in den
deutschen Kommunen auf nur 40,0 Mio. Euro. Die Bruttoanlageinvestitionen des Jahres 2015 lagen 561,8-mal höher (22,47
Mrd. Euro) und die errechneten Abschreibungen sogar 718,3-mal höher (28,73 Mrd. Euro). Die Vorratsveränderungen und der
Nettozugang an Wertsachen werden daher mangels wertmäßiger Relevanz an dieser Stelle außen vor gelassen.
Betrachtet werden im Folgenden lediglich die Bruttoanlageinvestitionen und die Abschreibungen. Die Differenz aus den
beiden Größen ergibt die Nettoanlageinvestitionen. Die Nettoanlageinvestitionen gelten als ein Indikator für die
Beurteilung des Werterhalts bzw. des Werteverzehrs des Anlagevermögens der Kommunen. Demnach sollten die
Bruttoanlageinvestitionen höher liegen als die Abschreibungen (oder zumindest gleich hoch sein), um einen Substanzverzehr
des kommunalen Anlagevermögens zu verhindern.
Entwicklung der kommunalen Investitionen gemäß Eurostat
Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der Bruttoanlageinvestitionen und der Abschreibungen für die
Kern- und
Extrahaushalte
der deutschen Kommunen unter Abdeckung der Jahre 1995 bis 2015. Dabei wird deutlich, dass bis einschließlich 2001 die Bruttoanlageinvestitionen
höher liegen als die Abschreibungen. Im Jahr 2002 hat sich das Verhältnis umgekehrt. In den Folgejahren übersteigen die
Abschreibungen die Bruttoanlageinvestitionen deutlich. Es sind mithin stark negative Nettoanlageinvestitionen zu beobachten.
Aus Abbildung 1 ist die exakte Höhe der Differenz aus den Bruttoanlageinvestitionen und den Abschreibungen, d.h. die Höhe
der Nettoanlageinvestitionen, eventuell nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Aus diesem Grund wird die Entwicklung der
Nettoanlageinvestitionen in Abbildung 2 separat dargestellt. Abbildung 2 verdeutlicht zugleich das Ausmaß der negativen
Nettoanlageinvestitionen. Kumuliert summieren sie sich in den Jahren 2002 bis 2015 auf -61,9 Mrd. Euro. Unter der Annahme
unveränderter Abschreibungen hätten die Bruttoanlageinvestitionen in diesen Jahren um 21,7 Prozent höher liegen müssen,
um einen Ausgleich von Bruttoanlageinvestitionen und Abschreibungen (und damit einen Werterhalt des Anlagevermögens) herbeizuführen.
Sofern man zusätzlich bedenkt, dass höhere Bruttoanlageinvestitionen in den Folgejahren auch wiederum höhere Abschreibungen nach sich ziehen,
liegt die notwendige prozentuale Steigerung nochmals etwas höher.
Die Daten von Eurostat zeichnen ein bedenkliches Bild der kommunalen Investitionstätigkeit in Deutschland. Wenn die Daten
in dieser Form die Realität abbilden, wäre dies ein Indiz für einen zunehmend schlechter werdenden Zustand der kommunalen
Infrastruktur.
So weit, so gut. Allerdings stellt sich an dieser Stelle doch die Frage, ob die Eurostat-Daten überhaupt belastbar sind?
Dieser Frage soll im Folgenden für die Bruttoanlageinvestitionen und die Abschreibungen nachgegangen werden. Genauer
definiert sind die von Eurostat verwendeten Begriffsabgrenzungen im Europäischen System Volkswirtschaftlicher
Gesamtrechnungen 2010 (ESVG 2010) und darin auf den Seiten 85 ff.
» Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen 2010 (ESVG 2010)
Hrsg.: Eurostat
Bruttoanlageinvestitionen
Die Bruttoanlageinvestitionen bezeichnen den Erwerb abzüglich der Veräußerung von Anlagegütern
zuzüglich gewisser Werterhöhungen an nichtproduzierten Vermögensgütern durch produktive Tätigkeiten. Zu den
Anlagegütern zählen produzierte Güter, die länger als ein Jahr genutzt werden. Unter die
Bruttoanlageinvestitionen fallen somit u.a. gekaufte, selbsterstellte, im Tausch erworbene und als Sachvermögenstransfer
erhaltene Anlagegüter. Bei den Bruttoanlageinvestitionen dürfte es sich im Kern um relativ belastbare Zahlen handeln.
Zahlen zu den Investitionsausgaben werden von den Kommunen an die Statistischen Ämter berichtet.
Zwar kann es von den Kommunen in einzelnen Fällen durchaus Falschmeldungen geben. Diese dürften sich bei insgesamt
rund 12.000 Kommunen aber weitestgehend gegenseitig ausgleichen (oder den Summenwert zumindest nicht wesentlich verzerren).
Die von Eurostat verwendete Abgrenzung ist der sog.
Sektor Staat. Ein Synonym ist der
öffentliche Gesamthaushalt.
Der Sektor Staat bzw. der öffentliche Gesamthaushalt ist im Falle des Teilsektors "Kommunen" (Synonym: "Gemeinden/Gemeindeverbände")
die Summe der kommunalen Kern- und Extrahaushalte.
In dieser Abgrenzung findet sich zugleich ein erster, wesentlicher Kritikpunkt der Eurostat-Daten. So wird die
Investitionstätigkeit der sonstigen
öffentlichen Fonds, Einrichtungen und Unternehmen (kurz: sonstige FEUs)
nicht berücksichtigt. Typische Beispiele für sonstige FEUs sind kommunale Ver- und
Entsorgungsunternehmen, Verkehrsunternehmen und Krankenhäuser.
Die sonstigen FEUs sind gerade auf kommunaler Ebene ein wichtiger Träger von Investitionen. Differenzierte und
aktuelle Zahlen zum Volumen der Bruttoinvestitionen der sonstigen FEUs sind statistisch nur schwer zu finden.
Einen ersten Anhaltspunkt können jedoch die vom Statistischen Bundesamt für die kaufmännisch buchenden FEUs (d.h. kaufmännisch buchende Extrahaushalte und sonstige FEUs)
veröffentlichten Daten zu den "Zugängen an Sachanlagen" liefern (siehe untenstehender Link). Diese beliefen sich in den kaufmännisch buchenden FEUs der Kommunen der Flächenländer im
Jahr 2013 auf 27,65 Mrd. Euro (aktuellere Zahlen sind bislang noch nicht veröffentlicht worden). Zu beachten ist allerdings, dass in
diesem Wert keine kleinen Kapitalgesellschaften nach § 267 Abs. 1 HGB und keine Tochterunternehmen nach § 264 Abs. 3 HGB erfasst
sind. Ebenso fehlen, wie bereits erwähnt, die nicht kaufmännisch buchenden FEUs. Der tatsächliche Wert der Investitionen der FEUs dürfte folglich merklich höher liegen. Hierzu kommen potenzielle Detailunterschiede in der inhaltlichen
Abgrenzung der Investitionsbegriffe zwischen den verschiedenen Statistiken. Aus diesen können weitere Wertdifferenzen
resultieren.
» Öffentliche Fonds, Einrichtungen und Unternehmen (FEU): Jahresabschlüsse 2013 nach Eignern
Hrsg.: Statistisches Bundesamt
Vom Statistischen Bundesamt werden in der
Schuldenstatistik
2015 zudem Daten zur Höhe der investiven Kommunalschulden (hier:
Wertpapierschulden und
Kredite beim nicht-öffentlichen Bereich)
veröffentlicht. Wo investive Schulden sind, dort kann davon ausgegangen werden,
dass auch entsprechende Investitionen getätigt worden sind. Die Höhe der investiven Schulden ist mithin ein grober Indikator
für das Investitionsvolumen in den vergangenen Jahren.
» Schuldenstatistik 2015 (Fachserie 14 Reihe 5)
Hrsg.: Statistisches Bundesamt
Laut Schuldenstatistik 2015 beliefen sich die Wertpapierschulden und Kredite beim nicht-öffentlichen Bereich (d.h. ohne
die i.d.R. zu konsumtiven Zwecken aufgenommenen
Kassenkredite beim nicht-öffentlichen Bereich)
zum Stichtag 31.12.2015 auf:
- Kernhaushalte der Kommunen: 80,2 Mrd. Euro
- Extrahaushalte der Kommunen: 16,3 Mrd. Euro
- Sonstige FEUs der Kommunen: 137,2 Mrd. Euro
Vom Gesamtwert der investiven Kommunalschulden in Höhe von 233,7 Mrd. Euro entfallen damit 41,3 Prozent auf die Kern- und
Extrahaushalte und 58,7 Prozent auf die sonstigen FEUs. An diesem Indikator wird erkennbar, welche Bedeutung die
Investitionstätigkeit dieser von Eurostat außen vor gelassenen sonstigen FEUs haben dürfte.
Die Limitation der fehlenden Einbeziehung der sonstigen FEUs in den Eurostat-Daten wäre für die Frage nach der
Belastbarkeit von Zeitvergleichen weniger relevant, wenn im Betrachtungszeitraum (d.h. 1995 bis 2015)
davon auszugehen wäre, dass sich keine größeren Verschiebungen zwischen den Kern- und Extrahaushalten einerseits sowie
den sonstigen FEUs und dem privaten Bereich andererseits ergeben hätten. Tatsächlich ist jedoch zu vermuten, dass es in
den Jahren 1995 bis 2015 durchaus nennenswerte Verschiebungen von kommunalen Aufgaben gab. Vor dem Hintergrund des
New Public Management (NPM)
bzw. des im Jahr 1993 von der KGSt vorgestellten
Neuen Steuerungsmodells (NSM)
kam es zu tiefgreifenden Veränderungen in der Struktur der kommunalen Aufgabenwahrnehmung. Diese Veränderungen fielen
zu einem großen Teil in den Betrachtungszeitraum der Jahre 1995 bis 2015. Sie haben auch zu
Aufgabenverlagerungen geführt, so z.B. durch:
- Formelle Privatisierung:
Eine zuvor im kommunalen Kernhaushalt wahrgenommene Aufgabe wird auf ein mehrheitlich
im kommunalen Eigentum stehendes Unternehmen (Extrahaushalt oder sonstiges FEU) übertragen
- Materielle Privatisierung:
Eine zuvor von der Kommune (d.h. in Kernhaushalt, Extrahaushalt oder sonstigem FEU)
wahrgenommene Aufgabe wird auf ein mehrheitlich in privatem Eigentum stehendes Unternehmen übertragen
- Public-Private-Partnership:
Eine zuvor von der Kommune wahrgenommene Aufgabe wird nunmehr in Kooperation mit
Privaten wahrgenommen
Hierdurch wurde ein Teil der kommunalen Investitionen aus den Kern- und Extrahaushalten auf die sonstigen FEUs und den
privaten Bereich verlagert. Welches Ausmaß die Aufgabenverlagerungen (und damit die Verlagerungen der kommunalen
Investitionstätigkeit) angenommen haben, lässt sich an dieser Stelle mangels entsprechender Vorher-Nachher-Daten nicht
quantifizieren. Tendenziell ist jedoch davon auszugehen, dass im Betrachtungszeitraum (u.a. infolge von NPM und NSM)
deutlich mehr Aufgaben aus den Kern- und Extrahaushalten auf sonstige FEUs und Private übertragen worden sind, als umgekehrt Aufgaben in
die Kern- und Extrahaushalte
rekommunalisiert wurden.
Die rückläufigen Bruttoanlageinvestitionen in den Jahren ab 1995 (siehe Abbildung 1) dürften sich zum einen durch die
Wiedervereinigung erklären lassen. Der teilungsbedingte Investitionsrückstand der ostdeutschen Kommunen ist im Laufe
der Jahre beseitigt worden, was sich in den 1990er-Jahren in fallenden Bruttoanlageinvestitionen niederschlägt. Zum
anderen dürften die angesprochenen Aufgabenverlagerungen einen spürbaren negativen Effekt auf das Niveau der
Bruttoanlageinvestitionen der Kern- und Extrahaushalte in den Jahren 1995 bis 2015 haben. Einschränkend sei gleichwohl darauf hingewiesen, dass
weder der Effekt der Wiedervereinigung noch der Effekt der Aufgabenverlagerungen an dieser Stelle exakt quantifizierbar sind.
Neben den beiden zuvor genannten möglichen Gründen für verhältnismäßig niedrige Bruttoanlageinvestitionen (Aufgabenverlagerungen und
Wiedervereinigung) gibt es noch weitere denkbare Ursachen. Eine entsprechende Auflistung können Sie nachstehendem
Blog-Eintrag entnehmen.
» Mögliche Ursachen für das niedrige kommunale Investitionsniveau, Blog-Eintrag vom 20. September 2016
Autor: Andreas Burth
Zahlenmaterial zu den Investitionen der deutschen Kommunen wird neben Eurostat auch von den Statistischen
Ämtern des Bundes und der Länder publiziert (mit einzelnen methodischen Unterschieden). Diese beschränken sich
i.d.R. jedoch ebenfalls auf die Kern- und Extrahaushalte (so z.B. die
Kassenstatistik).
» Kassenstatistik 2015 (Fachserie 14 Reihe 2)
Hrsg.: Statistisches Bundesamt
Summenwerte für die Zugänge an Sachanlagen werden, wie zuvor erwähnt, für die
kommunalen FEUs nur auf einer separaten Seite des Statistischen Bundesamtes
berichtet (und dort inkl. der Extrahaushalte, aber ohne kleine Kapitalgesellschaften, ohne Tochterunternehmen und ohne nicht kaufmännisch buchende FEUs).
Die Investitionen der sonstigen FEUs bleiben damit in den meisten statistischen Publikationen (und v.a. bei Eurostat) außen vor.
Diese Statistiken bilden entsprechend nur einen Ausschnitt der kommunalen Investitionen ab. Sofern die oben
aufgeführten investiven Kommunalschulden als Anhaltspunkt herangezogen werden, würde das statistische Datenmaterial zu den
Investitionen der Kern- und Extrahaushalte nur etwa 40 Prozent der gesamten kommunalen Investitionen abdecken.
Die Zahlen zu den Zugängen an Sachanlagen deuten grob auf eine ähnliche Größenordnung hin.
Rund 60 Prozent der kommunalen Investitionstätigkeit (hier: die Investitionen der sonstigen FEUs) stellen damit
bei der Verwendung von Eurostat-Daten quasi eine "Black Box" dar.
Abschreibungen
Den ein oder anderen Leser mag es auf den ersten Blick verwundern, dass Eurostat Werte zu den Abschreibungen der kommunalen
Kern- und Extrahaushalte (d.h. ebenfalls ohne sonstige FEUs) publiziert. Zwar berichten die Kommunen Zahlen zur Höhe der
Investitionsausgaben an die Statistik (hieraus werden die Bruttoanlageinvestitionen berechnet). Werte zu den Abschreibungen,
zur Höhe des Anlagevermögens oder zu den Nutzungsdauern werden statistisch jedoch nicht erhoben. Dies liegt darin begründet,
dass die deutsche
Finanzstatistik noch immer
kameralen
Charakter hat. Zwar nutzt die Mehrzahl der deutschen Kommunen die
Doppik.
In den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Schleswig-Holstein und Thüringen gibt es jedoch noch immer hunderte
kameral rechnende Kommunen. Diese Kommunen verfügen nicht einmal über belastbare Zahlen zur Höhe ihrer Abschreibungen,
ihres Anlagevermögens oder ihrer Nutzungsdauern.
Da die entsprechenden Daten nicht statistisch erhoben werden, stehen sie Eurostat auch nicht zur Verfügung. Dies wirft
zunächst die Frage auf, wie belastbar die Abschreibungswerte von Eurostat sind, wenn der Behörde doch eigentlich die hierzu
notwendigen Grunddaten fehlen?
Zur Beantwortung der Frage ist ein Blick in das ESVG 2010 zu werfen (Seite 88 f.). Darin wird deutlich, dass es sich um
statistische Schätzungen unter Verwendung der sog. "Kumulationsmethode" (auch: "Perpetual-Inventory-Methode") handelt.
Vereinfacht erklärt, wird dabei das Investitionsvolumen der vergangenen Jahre verwendet, um die Höhe des abzuschreibenden
Anlagevermögens zu bestimmen. Dieses Anlagevermögen wird dann über die Nutzungsdauer(n) abgeschrieben. Weitere methodische
Details können Sie dem folgenden Link oder dem oben verlinkten ESVG 2010 entnehmen.
» Perpetual-Inventory-Methode
Hrsg.: CESifo
Für die Nutzungsdauern wird von einer "normalen wirtschaftlichen Nutzungsdauer der einzelnen Güterarten" ausgegangen. Nun
geht aus statistisch erfassten Investitionsausgaben der einzelnen Kommunen nicht hervor, welche genauen Güter sie in welchem Umfang angeschafft
haben. Dies erschwert die exakte Bestimmung der "normalen wirtschaftlichen Nutzungsdauer" für das Güterportfolio der Kommunen
in Deutschland. Für die Summe der Kommunen sollte es jedoch grundsätzlich möglich sein, die (durchschnittlichen) Nutzungsdauern
mittels statistischer Verfahren und auf Basis von Erfahrungswerten näherungsweise zu berechnen. Ob bzw. in welchem Ausmaß von den von Eurostat berechneten
Nutzungsdauern ein verzerrender Effekt auf die Höhe der Abschreibungen ausgeht, lässt sich an dieser Stelle nicht quantifizieren.
Das oben beschriebene Vorgehen von Eurostat klingt zunächst plausibel. Es erscheint durchaus denkbar, dass es
belastbare Ergebnisse herbeiführt. Gleichwohl ist zu fragen, ob Eurostat wirklich zitierfähige Daten zu den Abschreibungen
berechnet?
Die Werte aus den Abbildungen 1 und 2 lassen leider bezweifeln, dass die von Eurostat berechneten Abschreibungen für die Kommunen
in Deutschland ein brauchbares Zahlenwerk darstellen. Grund hierfür ist, dass die Zahlen von Eurostat widersprüchlich sind.
Zunächst zeigen sie, dass die Nettoanlageinvestitionen deutlich negativ sind. Kumuliert über die Jahre 2002 bis 2015 sind
es -61,9 Mrd. Euro. Mithin müsste nach diesen Daten der Wert der kommunalen Anlagegüter um eben diese 61,9 Mrd. Euro
abgenommen haben. Wenn man nun davon ausgeht, dass das Anlagevermögen um 61,9 Mrd. Euro gesunken ist, stellt sich im
nächsten Schritt die Frage, wie sich bei sinkendem Anlagevermögen die Abschreibungen hätten entwickeln müssen? Antwort:
Sie müssten ebenfalls sinken. Die Grundregel lautet: je niedriger das Anlagevermögen, desto geringer die Abschreibungen
(und umgekehrt).
Tatsächlich sind die Abschreibungen jedoch bereits seit 1997 von Jahr zu Jahr gestiegen. Während zwischen 2002 und 2015
der Wert des Anlagevermögens laut Eurostat um 61,9 Mrd. Euro gefallen sein soll, sind die jährlichen Abschreibungen von
21,5 Mrd. Euro im Jahr 2002 auf 28,7 Mrd. Euro im Jahr 2015 angewachsen. Dies entspricht einem Anstieg der jährlichen
Abschreibungen um 33,9 Prozent. Wie sich dieser Widerspruch aus deutlich steigenden Abschreibungen bei
merklich rückläufigem Anlagevermögen plausibel aufklären lässt, erschließt sich mir persönlich nicht. Der
Widerspruch stellt aus meiner Sicht die Zitierfähigkeit der Eurostat-Daten zu den kommunalen Abschreibungen in Deutschland infrage.
Fazit und Ausblick
Eurostat veröffentlicht Zahlen zu den Bruttoanlageinvestitionen und zu den Abschreibungen. Das Zahlenmaterial zu den
Bruttoanlageinvestitionen dürfte grundsätzlich ein belastbares Datenmaterial darstellen. Es hat aufgrund des Fokus auf
den Kern- und Extrahaushalten aber auch wesentliche Schwächen. Auch wenn es sich bei den Kern- und Extrahaushalten um die
in statistischen Analysen am
häufigsten verwendete Abgrenzung kommunaler Einheiten handelt, so ist doch davon auszugehen, dass das Fehlen der
sonstigen FEUs einen verzerrenden Effekt auf das Gesamtbild der Entwicklung der kommunalen Investitionsausgaben in Deutschland hat.
Hinzu kommen erhebliche Probleme bei den von Eurostat berechneten Abschreibungen. Die Entwicklung der Abschreibungen ist aus meiner Sicht inkonsistent
mit der Entwicklung des Saldos aus Bruttoanlageinvestitionen und Abschreibungen. Der Widerspruch aus zunehmenden Abschreibungen
bei fallendem Anlagevermögen fällt dabei derart deutlich aus, dass sich grundsätzlich an der Verwendbarkeit der von Eurostat
veröffentlichten Abschreibungsdaten (und damit auch der Daten zu den Nettoanlageinvestitionen) zweifeln lässt. Ich persönlich
kann den Widerspruch nicht plausibel auflösen. Gegenüber etwaigen Hinweisen zur Aufklärung des Sachverhalts bin ich offen.
Letztlich führt nach meiner Einschätzung kein Weg vorbei an einer echten doppischen Finanzstatistik in Deutschland und in der EU.
Diese sollte neben den Kernhaushalten auch alle Ausgliederungen (d.h. Extrahaushalte und sonstige FEUs) abdecken.
Für eine doppische Finanzstatistik bedarf es jedoch auch einer flächendeckenden Pflicht zur Doppik-Einführung und einer
Harmonisierung des Haushalts- und Rechnungswesens. Mit den derzeit auf EU-Ebene diskutierten
EPSAS könnte bereits in
wenigen Jahren ein wichtiger Schritt hin zu einer doppischen Finanzstatistik und einem harmonisierten öffentlichen Haushalts- und
Rechnungswesen angestoßen werden. Es bleibt interessant, die Entwicklungen um das EPSAS-Projekt der EU weiter zu verfolgen.
» EPSAS.eu
Autoren: Andreas Burth, Dennis Hilgers
Weitere Informationen
Weitere Beiträge zu den kommunalen Investitionen können Sie auf HaushaltsSteuerung.de u.a. über nachfolgenden Link abrufen.
» Blog-Einträge zum Thema "Investitionen"
Hrsg.: HaushaltsSteuerung.de
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